Kurzgeschichten

Konflikte

By

Der Krieg kommt immer näher. Neulich fuhr ich nachts im Bett auf, denn ich hörte das Pfeifen von Mittelstreckenraketen, aber dann war es doch nur Agamemmnon, der Nymphensittich meiner Nachbarin. Auch wenn es diesmal falscher Alarm war, besteht kein Zweifel: Früher oder später wird es vorbei sein mit dem Frieden. Deshalb bereite ich mich vor. „Grrrrroßßartig! Zu den Waffen!“, kreischt Agamemmnon hinter dem dicken Filzvorhang, der unsere Wohnungen voneinander trennt. Ich wünschte, es gäbe eine Wand, aber die Hausverwaltung teilt mit, das lohne nicht, denn bald würden wir eh ausgebombt, das sei nur mehr eine Frage der Zeit. Ein Segen,…

Read More

Frische Suppe

By

Wenn Oma Frische Suppe machte, roch schon das Treppenhaus nach Verwesung. Ich wurde bei ihr abgesetzt, und meine Eltern fuhren weiter zu ihren Unternehmungen. Mutter war seit einiger Zeit Hobby-Paläontologin und Vater fand es nicht gerecht, wenn sie alleine zu den Grabungsstätten fuhr. Er war ein Mann vieler Leidenschaften, doch ein eigenes Hobby war nicht darunter. Außerdem wurde seine Persönlichkeit von Eifersucht und Verlustängsten dominiert, Charakterzüge, die er mir, wie den Hang, nach den Mahlzeiten unangekündigt auf dem Küchenstuhl einzunicken, nach seinem frühen Ableben, selbstlos vermacht hat. Sonst erbte ich nichts; während alle Verwandten sich mit seinem Hab & Gut…

Read More

Nummerngirls

By

Der Mann von Welt trägt heute ein Hemd mit Gazastreifen in frischem Rot. Bedächtig kaut er auf dem Fleisch seiner Wange, während junge Frauen in glitzernden Badeanzügen die Inhalte seiner Rede auf Papptafeln vorübertragen. Die Maskenbildnerin tupft mit einem Pinsel freundliches Rosa auf das fahle Gesicht und reicht dann ein Löffelchen Lächelsaft und ein Glas Wasser zum Hinunterspülen. „Wenn auf der Erde die Liebe herrschte, wären alle Gesetze entbehrlich, meine lieben Genossinnen und Genossen!“, beginnt der Mann von Welt mit leiser Stimme, denn er spricht immer leise, damit die Leute die Ohren spitzen, um ja nichts zu verpassen. Ewa Pelzfuß…

Read More

Spiel der Ungewissheit

By

„Ich mache Literatur aus jeder erdenklichen Szene“, sagte er, ziemlich prahlerisch. „Hier, schau dich um! Was siehst du? Den Steg, auf dem du und ich stehen, dort eine leere Rettungsringhalterung, das tiefgraue Meer, die Wolken, die sich türmen. Wir drehen uns um zu den Dünen, da hinten die Buchen, das Liebespaar am Strand, die lehnen sich gegen den Wind und halten sich an den Händen, als würde der andere sonst von einer Böe fortgerissen, vier, nein, fünf Möwen. Das perfekte Setting. Jetzt fehlen uns noch ein paar Zutaten für die Handlung. Ein Konflikt. Aber was guckst du mich schon wieder…

Read More

Kein Text

By

Heute ist mir gar nicht nach einem Text. Mir ist nach leeren Worten, die in aufmunternden Hülsen stecken, dazu ein possierliches Tier im Sonnenaufgang und Seifenblasen. „Sei das Lächeln, das du auf der grässlichen Fratze im Spiegel sehen möchtest!“, will ich Ihnen zurufen. Dazu stellen Sie sich bitteschön ein Orang-Utan-Baby vor, das einen Seemannskragen trägt und eine Banane isst. Im Hintergrund spielt ein Pandabär auf dem Akkordeon. Wenn es Ihnen davon nicht besser geht als mir, ist das nicht meine Schuld. Ich habe getan, was in meiner Macht steht. Schließlich kann ich mich nicht um alles kümmern. Und ich habe…

Read More

Sugestio

By

Sie sagt: „Fische schwimmen, Fische essen, schwimmen, werden gegessen.“ In einer grauen Stadt, es wird Mitte Oktober gewesen sein, wachsen in jeder Straße Aquarien auf Fensterbänken, fest verankert in den Bleibeschichtungen der Simse. Er sagt: „Seien Sie nicht schüchtern, Sie können mir ganz unbesorgt Fotos Ihrer Brüste schicken.“ Jeder, der eines dieser Aquarien bekommt, erlebt eine Verwandlung und gewinnt neuen Lebensmut. Sie sagt: „Man kann aber auch so tun, als müsste man nur so tun.“ Der Satz kommt ihm merkwürdig vertraut vor und das sagt er ihr. Sagt sie: „Haben Sie selber erst neulich gesagt. Aber ich schicke Ihnen erstmal…

Read More

Ausnahmsweise

By

„Im Grunde habe ich kein Interesse an der Menschheit und dem scheußlichen Gebräu, das sie Tag um Tag aus Hochmut, Gezänk, Rechthaberei und Blutdurst zubereitet und dann als Tunke für die weitgehend geschmacklosen Meinungen herumreicht.“ Die Schuhe des Landstreichers waren zerlumpt, so dass Alfred Pelzfuß sehen konnte, wie die schmutzigen Zehen darin wackelten. „Was soll das denn heißen Im Grunde?“, fragte Alfred. „Das klingt irgendwie so, als würden Sie heute eine Ausnahme machen.“ Der Landstreicher ruderte mit den Armen und der Geruch von altem Schweiß und lange getragener Unterwäsche wehte zu Alfred Pelzfuß hin. Er wandte das Gesicht ab und…

Read More

Kraft, die ihresgleichen sucht

By

„Wer produziert denn hier wieder Strom?“ Vaters Stimme klang ungehalten. Wir Kinder schauten einander betreten an. „Ich seh es doch auf dem Zähler; irgendjemand hat hier wieder Strom produziert.“ Seit uns Onkel Werner letztes Jahr zu Weihnachten einen seiner handbetriebenen Dynamos mitgebracht hatte, war die Stimmung bei uns zu Hause schlecht. Vater wollte nicht im Kreise seiner Angehörigen als Energie-Bittsteller dastehen, vor allem nicht vor seinem älteren Bruder Werner, der schon immer das schlohweiße Schaf der Familie gewesen war und der, seitdem ich mich erinnern konnte, ein Auge auf meine Mutter geworfen hatte. Meine kleine Schwester fing an zu weinen….

Read More

Die Kunst des Zurücknehmens

By

Wenn man bei uns im Hof etwas Unpassendes sagte, wurde man vom dicken Schorschi in den Schwitzkasten genommen und bekam einen Hagel von Kopfnüssen verpasst. „Nimm das zurück, nimm das sofort zurück!“, knurrte er und ließ einem Schweißtropfen ins Genick fallen. Irgendwann japste man „Ich nehme es zurück!“, bekam noch einen letzten Schlag auf den Hinterkopf und die Sache war erledigt. Bald wählten wir unsere Äußerungen mit Bedacht, was nur mäßige Sicherheit mit sich brachte, denn Schorschis Maßstäbe an das Sagbare waren wechselhaft. Oft habe ich mich gefragt, wo all die zurückgenommen Sätze wohl hingingen. Vielleicht schrieb sie eine geheime…

Read More

Der Bücherfreund

By

Ich habe die Faxen dicke. Ich habe kaum noch Luft zum Atmen. Hier muss mal gründlich aufgeräumt werden. Ich schmeiße alle meine Bücher weg. Behalte nur die, die ich selber oder Leute in meinem unmittelbaren Umfeld geschrieben haben. Und die Bücher, die mir mal etwas bedeuteten, kann ich eigentlich auch schlecht aus der Wohnung werfen – die bleiben hier. Sowie die Bücher, die ich immer noch lesen wollte. Sind ja schon bezahlt. Wäre doch schade ums Geld. Aber sonst mache ich reinen Tisch. Mit allem, allen Büchern. Mit dem hier beispielsweise: ‚Geständnisse eines Top-Terroristen – Theodor Heuss Anekdoten‘, herausgegeben von…

Read More