Kurzgeschichten

Warum eigentlich kein Singspiel?

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Vorhang auf. ER und SIE sitzen sich auf dem Wohnzimmerteppich im Schneidersitz gegenüber. ER trägt ein Gewand aus feinem, leichtem, schwarzem Stoff – SIE lediglich ein etwas zu kurzes, gestreiftes Oberteil. ER erklärt ihr seine Sicht auf die Welt, SIE nickt großäugig. ER: Patriotismus gepaart mit Fremdenfeindlichkeit ist das letzte Refugium desjenigen, der in den Spiegel schaut, und hasst, was er sieht. Plötzlich klopft es an der Tür (Wahlweise ertönt ein unangenehmes Klingelgeräusch), ER steht unter Mühen auf, streicht sich das Gewand glatt und geht gemessenen Schrittes, mit wogendem Gewebe zur Tür. ER kommt zurück ins Wohnzimmer, wo SIE begonnen…

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Das Flüstern der staubigen Uhr

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Als ich klein war, kam uns einmal im Monat Papst Gregor besuchen. Er hatte auch eine Nummer, aber die durften wir Kinder nicht wissen, denn er wollte kein Gerede in der Nachbarschaft. Aber die Nachbarn tratschten natürlich trotzdem. „Bei den Baader-Meinhofs kommt wieder der Papst“, sagten sie hinter vorgehaltener Hand, wenn sie sahen, wie meine Mutter säckeweise Hausstaub aus dem Keller hochschleppte. Denn die Wohnung musste ein Saustall sein, sonst wurde der Papst ungemütlich. Sauberkeit und Ordnung waren unchristlich, nicht umsonst sprach man ja vom Putzteufel. So stapelten wir bereits Tage vor seiner Ankunft schmutziges Geschirr in der Küche und…

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Zobel: Mythen und Meinungen

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War da ein hämischer Glimmer in den Augen des Personalchefs gewesen, als er mir die Rechte schüttelte, um mich im Team willkommen zu heißen und eher beiläufig sagte: „Sie werden sich das Büro mit der Zobel teilen.“ Das Büro befand sich noch unter dem untersten, mit dem Fahrstuhl erreichbaren Stockwerk, ich folgte dem Chef die Treppe hinunter, er öffnete die Tür eines einem Verschlag ähnelnden Kämmerchens, in dem eine Frau an einem Schreibtisch über einer Akte brütete. „Das ist der neue Mitarbeiter, Frau Zobel. Den werden Sie unter Ihre Fittiche nehmen. Wir haben das ja besprochen.“ Und zu mir gewandt,…

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Pecunia Olet

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Unsere Herkunft hilft uns dabei, die Geheimnisse der Welt zu entschlüsseln. Lebte man am Boden eines Alpentals und spräche mit einer Fabrikarbeiterin über die da oben, würde man wahrscheinlich nicht über denselben Personenkreis reden. Trotzdem könnte man sich vielleicht einig werden, dass mit denen da oben etwas nicht stimmt. Mit Latein verhält es sich ähnlich. Und es gibt ja auch Fabriken, die am Boden von Alpentälern stehen, aber um die geht es hier nicht. Das wird sonst zu kompliziert. Jedenfalls, als Kind dachte ich, Latein sei eine Sprache für Zauberer und Pfarrer. Einen lateinsprechenden Arzt oder Juristen hätte ich für…

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Salz oder Sieben

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Man kann sich das im Februar kaum vorstellen, aber es war warm und schön und wir saßen im Park mit Blick auf den Fluss, aßen die mitgebrachten hartgekochten Eier und kamen uns sehr klug vor. Ich sagte, während ich einen Grashalm ausriss: „Mein Dualismus ist nicht Richtig oder Falsch. Meine Dualismen sind Wahrscheinlich oder Unwahrscheinlich, Logisch und Unlogisch.“ Dann klemmte ich den Halm zwischen die Daumen und blies. Ein schrecklich zerfranstes Tröten in hoher Frequenz ertönte. Ein freilaufender Hund hielt vor uns und legte den Kopf schief. Du verscheuchtest ihn mit einem energischen Händeklatschen und er trollte sich. „Mein Dualismus“,…

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Der schielende Spiegel

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Meinem Vetter Bruno stand der Mund schief im Gesicht wie ein schlampiger Behördenstempel und eine dunkle Braue lag wie ein Baumstamm über seinen Augen. Onkel Gernot zog ihn damit auf. „Bei Bruno merken wir, dass er alt wird, wenn Moos auf seiner Augenbraue wächst.“ Tränen liefen schnurgerade über Brunos Wangen, so dass sein Mund noch schiefer wirkte. „Hänsel den Bruno nicht!“, mahnte meine Großmutter dann, aber sie meinte es nicht ernst. „Ich hänsle ihn nicht, ich mag den Bruno doch“, erwiderte Onkel Gernot. So war das in unserer Familie. Allein die Liebe bewahrte einen davor, dem anderen ein Leid zuzufügen,…

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Der Salat des Heiratsschwindlers

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Tage vergehen. Ich werde mir jetzt mal einen Salat machen. Denn schließlich, und das gilt es gerade für einen Mann meines Standes zu beachten, ist unser Körper heilig und dementsprechend pfleglich zu behandeln. Wenn das Wetter mitspielt, werde ich morgen anfangen zu schwindeln. Ihr sollt dann mal sehen, was ein Kavalier alter Schule noch so drauf hat. Den Salat mache ich sicherheitshalber erst später – nichts wäre doch bedauerlicher, als wenn seine Kraft zu früh verpuffte und sie mir beim Heiratsschwindeln dann nicht mehr zur Verfügung stünde – ich esse stattdessen eine Handvoll Nüsse und rauche eine Zigarette. Tage vergehen….

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Möglichkeiten

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Mein Großvater war stets darum bemüht, klüger zu wirken, als er es tatsächlich war. So pflegte er zu sagen, er habe den Braten längst gerochen, wenn er jemandem auf die Schliche gekommen war. Als sei das Riechen eines Bratens eine komplizierte Sache, die besondere Fertigkeiten oder geheime Kenntnisse erfordere. Dabei bog sich die Gasse sonntags unter Bratenduft und jeder, der eine Nase hatte, konnte schwerlich etwas anderes riechen. Nun sind meine Großeltern längst gestorben und ich vermisse beide nicht, denn sie haben unserer Familie viel Unheil gestiftet, das auch der prachtvollste Sonntagsbraten nicht wettzumachen vermochte. Hätten die beiden etwas länger…

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Seeanemone

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Für das neue Jahr habe ich mir vorgenommen, nicht mehr zu erschrecken, wenn ich Geister und Gestalten aus dem Augenwinkel in meiner Wohnung entdecke. Kein Zusammenzucken mehr, meinem Mund wird kein weibisches Huch! mehr entfahren, wenn ich mal wieder heimgesucht werde. Coolness und Contenance sollen meine neuen Säulenheiligen sein. Gerade gestern, ich führte ein Selbstgespräch, was ich manchmal tue, um bei einer möglichen, mir begegnenden zukünftigen Konversation nicht um Worte verlegen zu sein, überzeugte ich mich, von nun an Gelassenheit und nicht mehr Sorge, mein Leben bestimmen zu lassen. Da bemerkte ich, dass mir die ganze Zeit ein Gespenst auf…

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Vorsätze

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Für das neue Jahr habe ich mir vorgenommen, mir einen Mantel aus Efeu wachsen zu lassen, wie der Baum vor meinem Fenster einen trägt. Seit ein paar Tagen stehe ich regungslos neben dem Baum und es schlängeln sich bereits einige zarte Ranken um meine Knöchel. Die Krähen umflattern mich und rufen mir zu: „Warum denn kein Mantel aus wildem Wein? Das ist extravagant und im Herbst würdest du in kräftigem Rot erstrahlen.“ Aber die Weinranken dröhnen im Sommer vom Summen der Bienen und Wespen, da kann mir die ganze Extravaganz gestohlen bleiben. Außerdem steht mir Grün besser. So ein Efeumantel…

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