Kurzgeschichten

Der Bücherfreund

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Ich habe die Faxen dicke. Ich habe kaum noch Luft zum Atmen. Hier muss mal gründlich aufgeräumt werden. Ich schmeiße alle meine Bücher weg. Behalte nur die, die ich selber oder Leute in meinem unmittelbaren Umfeld geschrieben haben. Und die Bücher, die mir mal etwas bedeuteten, kann ich eigentlich auch schlecht aus der Wohnung werfen – die bleiben hier. Sowie die Bücher, die ich immer noch lesen wollte. Sind ja schon bezahlt. Wäre doch schade ums Geld. Aber sonst mache ich reinen Tisch. Mit allem, allen Büchern. Mit dem hier beispielsweise: ‚Geständnisse eines Top-Terroristen – Theodor Heuss Anekdoten‘, herausgegeben von…

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Der Einklang

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Margarete Pelzfuß schnupperte misstrauisch, als sie ihren Briefkasten öffnete. Zwischen zwei Standardbriefumschlägen klemmte ein gelbliches Kuvert und verströmte einen ihr entfernt bekannten Duft. Sie zog es mit spitzen Fingern heraus und ließ die beiden anderen unbeachtet liegen. Eine prächtig bunte Briefmarke klebte schief in der oberen Ecke und ein Poststempel mit Wellenmuster verdeckte einen Großteil der Adresse. Margarete schnupperte erneut und eine Mischung aus Orangenschalen, Waldpilzen und muffigem Handtuch kitzelte ihre Nase. Der Brief war zweifellos von ihrem Vetter Knut. Was konnte der bloß wollen? Sie hatte nichts mehr von Knut gehört, seit er vor zwanzig Jahren nach Borneo gereist…

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Das innere Schafott

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„Rache ist nicht mehr gefragt. Der Hass soll ja jetzt abgeschafft werden.“ Sven, der sich, wie es um diese Jahreszeit seine Art war, als Kaiser Marc Aurel verkleidet hatte und verdächtig lang vor dem Fenster stand, um sich von den Kindern im Hof in seiner ganzen Pracht bewundern zu lassen, sprach leise wie im Selbstgespräch. Und wie immer ein wenig überakzentuiert. Dann drehte sich zu mir um. „Ist dir das noch gar nicht aufgefallen?“, sagte er gedehnt. „Die Mächtigen wollen nicht, dass wir hassen. Und so nehmen sie uns die Begriffe für Hass.“ Ich kenne Sven nun auch schon länger…

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Uneins

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Ich habe den Krieg satt. Und das, obwohl ich ihn nur aus den Nachrichten kenne. Ein Vorurteil quasi. Kriege und Vorurteile sind verbreitet im Reich der Kiefermäuler, bloß bei der Menschheit sind sie zugleich unbeliebt. Wir unterscheiden uns von den Ameisen, indem wir uns nicht entscheiden können. Wir möchten edel, hilfreich und gut sein, ohne zu wissen, wie wir das zuwege bringen sollen und blicken voller Neid oder Ungnade auf jene, denen es besser oder schlechter gelingt als uns selbst. Ich sage Ihnen was: Auch davon habe ich genug. Dieses Streben nach Höherem, Schönerem, Besseren, soll ein für allemal vorbei…

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Nichts als die Wahrheit

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Ich werde immer stärker. Ich mache mir meine Schwächen zu eigen und lächle über sie hinweg. Es war nicht alles besser. Früher. Ich erinnere das Hündchen, das an meinem Hosenbein schnüffelt, an das Grau, das alles umgab, an die Skepsis, die jenen entgegenschlug, die anders waren, die bunt sein wollten. Das Unverständnis war groß. Es ließ sich in ihm bequem leben, ohne Zusammenhänge, fast ohne eigene Verantwortung für die Dinge. Freiheit, stimmt der Hund ein jaulendes Klagelied an, das ist die Freiheit, die ich meine. Du kannst mir doch sicherlich die Geheimnisse der Welt eröffnen, schlage ich hoffend vor. Was…

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Nur ein Tag

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Das Schöne an der modernen Welt ist, dass man alles sein kann, was man möchte. Also, sofern man nicht in einer Kobaltmine schuften muss oder der Russe bei einem einmarschiert oder man ewigen Hausarrest von schwerbewaffneten Halbwüchsigen erteilt bekommt oder das Pech hat, als Hausschwein geboren zu werden. Sie sehen, es gibt Ausnahmen, aber im Grunde kann man sein, was und wer man möchte. Ich für meinen Teil wäre gern ein Mann, ein berühmter Mann, wennschon. In die Jahre gekommen und aus dem Leim gegangen, dagegen hätte ich keine Einwände. Ich könnte mit trunkenen Nymphen durch Bacchanalien tanzen und mit…

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Möglicherweise

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Ich könnte ja. Wenn ich wollte. Wenn ich wirklich wollte, würde ich. Immer wieder Gedanken daran. Gedanken, die unerwartet auftauchen, angetrieben von unbenannten Gerüchen der Vergangenheit oder einfachen Melodien; dunkle Gedanken, die sich Platz bahnen, in den Tagesablauf drängen und alles lahm legen. Zur Ablenkung denke ich Quatsch, versuche Schwerhörig- und Schwerelosigkeit in einen literarisch verwertbaren Zusammenhang zu bringen, erinnere mich an bereits geschriebene Geschichten, Charaktere und Gestalten. Da öffnet sich die Wohnungstür, ein Pudel in einer roten Pagen-Livree tritt ein, richtet sich auf und trippelt auf den Hinterbeinen in meine Richtung. „Und?“, fragt er herrisch. „Hast du dich schon…

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Meine Kreise

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Ich drehe mich im Kreis, als sei ich eine Primaballerina. Das wünschte ich mir als Kind schon: In einem rosafarbenen Tutu und seidig glänzenden Ballettschuhen über federnden Holzboden fliegen, springen, Pirouetten drehen. Auf ein Publikum wollte ich allzu gerne verzichten. Für die nächsten 1000 Jahre in einer Zeitkapsel verborgen hätte ich gerne getanzt. Aber das kann man mit einem Kind natürlich nicht machen, obwohl Kinder das Salz der Erde sind. Oder war irgendjemand anders das Salz der Erde? Ist ja auch egal. Hauptsache, ich muss die Menschheit nicht aushalten, mit ihrem empörten Geschrei und diesen Blicken, bei denen man nicht…

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Unveränderte Spielregeln

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Ich stehe im Badezimmer vor dem Spiegel und gebe mit meinem Halbwissen an, dass sich die Wände biegen. „Buckminster Fuller“, knurre ich mir zu, „und Frei Otto und non-euklidische Architektur.“ Ich schnaube verächtlich, denn mir ist schmerzlich bewusst, mit wie wenig Substanz diese Begriffe in mir abgesichert sind. Und so versuche ich, das Thema zu wechseln: Was soll man von den Nachrichten halten? „Welche Nachrichten denn?“, frage ich mit geübt unschuldigem Blick, obwohl mir natürlich klar ist, wovon ich rede. Mich der Sprache des Zeitgeistes anbiedernd, erwidere ich: „Na, der Gamechanger. Stell dich doch nicht dümmer, als du sowieso schon…

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Allerdings

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Es gibt Tage, da erwacht man morgens mit schweren Lidern in einem Bett aus klebrigem Gummi. Allerdings, die Lider kann man sich heutzutage vom Operateur entfernen lassen. Das schützt auch vor Lidkrebs, wie man hört. Und das ist ja das A und O: schützen und vorsorgen. Wobei ich für beides nicht viel übrig habe und für vorsorgliche Entfernung schon gleich dreimal nicht. Allerdings, meine Großmutter hat immer gesagt: Böse Menschen haben keine Lider. Und wer will schon von aller Welt auf den ersten Blick als böser Mensch erkannt werden, nur um morgens besser aus dem Bett zu kommen? Ich jedenfalls…

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