Kurzgeschichten

Hausgemeinschaft

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Die Seele ist ein Gas. Genaueres weiß man nicht. Ob es gesammelt wird, um aufsässigen Menschen die Schleimhäute zu reizen oder damit man nachts besser schlafen kann, wird im Radio nicht berichtet. Gewiss kann man daran ersticken, wir ersticken vielleicht alle daran, früher oder später. Meine Nachbarin ist vor dem Erstickungstod gefeit, denn sie hat keine Seele. Tagein tagaus ist sie hektisch damit beschäftigt, eine vorzutäuschen. Sogar ein Ehrenamt in der Kinderklinik hat sie zu diesem Behufe angenommen. Unermüdlich bietet sie ihre Hilfe an, egal ob Umzüge, Liebeskummer, Blumengießen, eingewachsene Zehennägel oder Familienaufstellungen. Sie kennt sich mit allem aus, was…

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An Tagen wie jenen oder Aequis aequus

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Zu welchem Zeitpunkt musste Alexander Gauland (nicht verwandt) so herzlich lachen, dass ihm ein Knopf vom Hemd sprang? Es war der Augenblick, als der schwangeren Nachbarin ein Ziegelstein auf den Kopf fiel, der Stein zerbrach und sie sich erstaunt umsah, ohne jedoch die Ursache ihres plötzlichen Kopfschmerzes ausmachen zu können. Wenige Stunden zuvor hatte sie noch mahnend zu ihrem Ungeborenen gesagt, dass die Welt außerhalb des Körpers ein rauer und ungemütlicher Ort sei. Das Kind solle nur gut auf die Worte der Mutter hören – die wisse, wovon sie rede. Und das Baby hatte lächelnd gelauscht und, von der Mutter…

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Zusammenhänge

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Es heißt, wer sich mit Kaulquappen niederlegt, darf sich nicht wundern, wenn er mit Fröschen aufwacht. Nun. Ich wundere mich gar nicht. Frösche sind ja an sich keine üblen Tiere. So, wie gelbe sechszackige Sterne aus Stoff an sich keine üble Sache sind. Es kommt immer auf den größeren Zusammenhang an. Je nachdem, wie groß oder klein der ist, wächst oder schwindet die Bedeutung, Dinge und Handlungen werden gut oder böse. Manche sagen, das stimme nicht, dies sei abhängig vom Standpunkt. Das ist natürlich Unfug, denn der Standpunkt ist ja immer derselbe: Alle glauben, sie hätten recht. Deshalb habe ich…

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Der Betrachter

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Gibt es eine Ausfahrt aus diesem Kreis, aus diesem Kreisverkehr, aus diesem Teufelskreis? Verlassen Sie ihn langsam, auf dass Sie nicht hinausgeschleudert werden. An sonnigen Tagen wie heute tragen Sie ruhig einen blickdurchlässigen Rock; so etwas kommt beim Betrachter gut an. Der Betrachter ist ein wohlriechender Mann in der zweiten Reihe. Und aus dieser zweiten Reihe traut er sich zu schauen, einfach zu schauen, wie das Leben der anderen vonstatten geht. Seine Zeit steht, steht, steht stets still – ob er nun will oder nicht, ist von außen kaum ersichtlich. Offenbar lebt der Betrachter in jedem von uns, denn oft…

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Gottes alter Kuchen

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Es regnet seit Wochen. Ich erinnere mich an einen Sonnenstrahl. Einem Zwicken links auf der Innenseite gleich. Wie kann ein Ding auf der Innenseite sein? Und ein Zwicken ist genaugenommen kein richtiges Ding. Man sollte sich säuberlich ausdrücken. Besonders, wenn die Umgebung neuerdings so heruntergekommen ist. Überall bröckelt und wackelt es, als sei die Welt vor langer Zeit aus Rührteig gebacken und anschließend im Küchenkasten vergessen worden. Das stimmt übrigens. Gott war eines Tages voller Freude, denn er erwartete Besuch. Weil er selbst ein Schleckermäulchen ist und zudem kein lausiger Gastgeber sein wollte, buk er einen Kuchen. Unter großem Hosianna…

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Eine Partie Antipathie

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Ich hasse sie. Sie hat mich immer schon gehasst. Am Anfang hat sie ganz freundlich getan und gesagt: „Frau Lenz, ich bin auf Ihrer Seite. Wenn Sie irgendwelche Fragen, Sorgen oder Probleme haben, kommen Sie einfach damit zu mir.“ Wahrscheinlich hat es sie gewurmt, dass ich nie Probleme hatte. Manchmal konnte ich nicht in die Kanzlei kommen, weil mich ihr Hass so abgestoßen hat. Ständig wollte Sie, dass ich Dinge mache, Sachen erledige, Aufgaben ausführe. Zum Glück habe ich einen verständnisvollen Hausarzt. Ja, es stimmt, ein wenig gruselig fand ich ihn bei meinem ersten Besuch schon. Er war viel kleiner…

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Zwei Augen, ein Kopf

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„Was ich nicht ausstehen kann? Wenn Leute sagen, ‚wie das Leben so spielt‘ oder ‚man trifft sich immer zwei Mal‘. Das regt mich auf. Tiefe Einsichten in den Lauf von Welt und Schicksal sollen damit angedeutet werden. In Wirklichkeit reden nur Arschgeigen so daher.“ Ich habe den Mann auf der anderen Seite der Glastheke nicht nach seinen Abneigungen gefragt. Offen gestanden habe ich bis eben nicht einmal bemerkt, wer die Fleischwaren herüberreicht, denn ich hatte nur Augen für Aufschnitt und Gedanken für Schweinernes. Morgen kommen Gäste. Nun mustere ich ihn aufmerksam, unter Umständen sind wir miteinander bekannt, und er setzt…

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Die Vergangenheit des Anderen

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Ein quadratischer Mann steht mit hängenden Schultern vor einer Baustelle. Könnte ich sehen, was er sieht, denken, was er denkt, wüsste ich, dass er vor seinem inneren Auge am Strand vergangenen Chancen und Möglichkeiten nachtrauert. War da nicht diese junge Schönheit gewesen, die ihm, siebzehnjährig und voller Selbstzweifel, zugeblinzelt hatte? Verheißungsvoll zugeblinzelt hatte. Hätte er nicht die Gelegenheit beim dunklen Schopf ergreifen sollen, ja müssen? „Haben Sie auch beim Bau gearbeitet?“ frage ich, doch er verbessert mich sogleich: „Auf dem Bau. Oder auch am Bau. Aber niemals beim Bau. Der Bau ist doch kein Arbeitgeber.“ Nach einem Moment rückbesinnenden Schweigens…

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Aloha Aqua

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Terror gibt es überall. Niemand scheint mehr ohne auszukommen. Sogar zu kaltes Badewasser wird neuerdings als Terror empfunden. Bei mir zu Hause, im siebten Himmel, gibt es so was natürlich nicht. Da ist die Welt noch in Ordnung, und jedermann weiß, wo die Blumen sind. Hungerleider gibt es nicht. Wer Appetit hat, geht zum Asiaten oder zum Hausmann, da kostet es nichts. Die Zausel können an fünf Tagen der Woche den Sorgenmacher aufsuchen, wenn es ihnen zu bunt wird. Am Strand lungern freie Radikale in Rotten zusammen beim Minipli, während mollige und hagere Hulamädchen auf den Dauerwellen tanzen und der…

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Schnittstelle

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Meine Frau, meine Frage, meine Haltung, meine Homepage, meine Hand. Deine Demut, deine Deutung, dein Gottproblem, dein Daniel. Und nun zu einem späteren, einem anderen, einem kleinen Raum: ein Topf. „Das neide ich dir – ein schönes Wochenende.“ Sagt wer? Bernhard und Emmerich und Felix. Und ich und Weltenbummler, mein Hund aus Kindertagen. Es war ein großer, ein freier Fall von Frühlingsfehler, ein Paar, ein bisschen überholt. Es ist schon merkwürdig, fast aller Ehren wert. Es geschehen Zeichen und ich wundere mich noch immer, WAS alles wohl passieren wird. Weltenbummler sieht mich aus großen Augen an und auf der Stelle…

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