Der Weg zur Nusshändlerin war beschwerlich und von zerschlissener Begrünung gesäumt. In den Hinterhöfen Kinder in kurzen Hosen aus braunem Tuch. Sie spielten mit alten Dosen, als kämen sie aus einer anderen Zeit. Ein muffiger Sprühregen setzte ein, der Schmutz auf dem Gehweg wurde schlüpfrig. Sie kniff die Augen zusammen. Durch die Tropfen an ihren Wimpern sah sie wie durch einen Schleier das geduckte Gebäude, in dessen Erdgeschoss sich der Nussladen befand. Wie ein vor Wochen gehäuteter Igel.
Die Fenster waren dunkel und das Schild über der Ladentür war entfernt worden. Besorgt trat sie näher, in der Hoffnung, eine Nachricht für die Kundschaft an der Tür vorzufinden. Aber da war nichts. Sie spähte durch die Scheiben, konnte leere Regale ausmachen, die wie zahnlose Münder gierig in die Dunkelheit nach Inhalt schnappten. Verunsichert trat sie an die Klingelschilder heran. Entweder waren sie unbeschriftet oder nicht lesbar, nur neben der untersten Klingel war ein Messingschild mit Gravur angebracht. ‚Hauswartin‘ stand da in verschnörkelter Schrift. Noch bevor sie den Knopf drücken konnte, wurde die Tür aufgerissen.
‚Was suchen Sie hier?‘, fuhr ein altes Weib sie an. Die Ohrläppchen waren grotesk in die Länge gezogen, schwere Hänger staken darin. Die Alte war in groben Wollstoff gekleidet, die Ohrringe aus klobigem, geschliffenen Glas passten gar nicht dazu.
Sie räusperte sich. ‚Ich wollte Nüsse kaufen. Aber der Laden ist geschlossen. Es sieht aus, als wäre der Besitzer umgezogen. Wissen Sie etwas darüber?‘
Die Alte sah böse unter ihrem Kopftuch hervor. Mit knorrigen Fingern fuchtelte sie in der Luft, als würde sie eine magische Beschwörung ausführen.
‚Nüsse?‘, schrie sie. ‚Niemand will mehr Nüsse in diesem Land! Die Zeit der Nüsse ist lange schon vorbei! Scher dich zum Teufel!‘
Mit dem Geschrei war ein Regen übelriechender Spucke auf sie nieder gegangen. Die Frau wich zurück. Als ihr der Abstand sicher schien, drehte sie sich um und rannte die Straße hinunter. Noch lange klang ihr das wirre Geschrei der Hausbesorgerin in den Ohren:
‚Nüsse will sie, die dumme Kuh! Als gäbe es sonst nichts zu tun. Was wollen die Leute mit Nüssen? Andrea Doria, Andreas Dorau, Michael Heltau, Helau, ein Heinzschenk, ein Mundschenk, ein Barscheck. Alles bringt ihr durcheinander, verfluchtes Pack! Und wer bohnert die Stiege? Wer entzündet die Wiege? Betrug! Verrat! Montag! Wucher!‘
Nach der Begegnung mit der Hausbesorgerin lief sie noch lange durch die Straßen der Stadt. Die Frau fragte Mütter mit Einakufstaschen und Taxifahrer, ob sie wohl wüssten, wo man in der Gegend Nüsse bekäme. Niemand antwortete ihr. Hastig wendeten sich die Menschen von ihr ab, eilten weiter. Einige schüttelten den Kopf und blickten zu Boden, als hätte sie eine Obszönität geflüstert. Entmutigt warf sie bald nur noch verstohlen Blicke in die Auslagen der Geschäfte.
Die Frau machte sich ganz klein und versuchte unauffällig zu sein. Mit hochgezogenen Schultern schlich sie die Marktstände am Hafen entlang. Exotische Früchte und Gewürze wurden feilgeboten. Glitzernder Tand und finster dreinblickende Figuren aus dunklem Holz. Als hätte es niemals Nüsse gegeben. Zu fragen wagte sie nicht mehr.
Sie dachte an den Mann, zu Hause am Küchentisch, mit gierigem Griff den Sack mit den Nüssen aufreißend. Sein verständnisloser Blick, wenn sie mit leeren Händen heimkehren würde. Das Stumpfe in seinen Augen weicht einem müden Zorn. Die blaue Ader auf seiner Stirn. Wie das Nildelta früher im Schulatlas.