Studie über Kurzschlüsse & Kernschüsse der Seele oder: Das Wandellose Licht wob einen Schleier

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Prolog: Sagt er zu ihr: „Iss mal sinnlich ’ne Tomate!“ „Wie ist es denn so?“, fragt sie ihn und lächelt verführerisch. „Jeden Tag ein bisschen besser. Jeden Tag ein bisschen mehr.“ Sprachkörper 1: Das Weben hat seine Aktualität in dem Gewebten Stereotyp die Antwort, stereotyp das Gefühl. Erst einmal neue Rituale schaffen; Automatismen müssen greifen. Und dann wieder Zeiten – manchmal Minuten, manchmal Stunden – in denen sich das Innere Ich in seine Einzelstimmen zerfasert. Wohlmeinende, hofft man inständig, denn sie sind einem doch recht nahe. Sie zu verlachen würde nicht helfen, wäre wohl als Zeichen an die Außenwelt, als…

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Der Zöllner

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Am alten Zollhaus traf Herr Domino den Zöllner. Der hatte den ganzen Tag Beutel geschnitten und die Hand aufgehalten – der Zöllner war müde, das sah Domino auf Anhieb. „Ach, man wird nicht jünger!“, sagte der Zöllner in einem Anflug von Sentimentalität. „In den guten, längst vergangenen Tagen konnte ich die Beträge und Einnahmen im Kopf ausrechnen, stundenweise, tageweise – ja, ich hatte sogar die Summen der Wochen im Kopf. Heutzutage, wenn auch nicht erst neuerdings, bin ich auf ihn hier angewiesen.“ Er zeigte auf ein zerrupftes Wesen, dem Augenschein nach ein Nagetier. Domino sah, dass es in keinem guten…

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Endzeit

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An einem anderen Tag – das Wetter war dem heutigen nicht unähnlich – saß ein Vogel auf der Spitze meiner Fahnenstange und schaute mich vorwurfsvoll an. Was habe ich denn jetzt schon wieder verbrochen, dachte ich, warum hassen mich bloß alle Geschöpfe unter Gottes weiten Himmeln? Der Vogel wendete seinen Blick nicht von mir ab, mir wurde kalt und warm. Das ist bei dieser wechselhaften Wetterlage immer ein Problem: In der einen Sekunde brennt die Sonne heiß, dass man sich das Federkleid vom Leib reißen möchte, in der nächsten hagelt es kindskopfgroße Körner und keine Fahne der Welt ist groß…

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Umgang und Verständigung Teil III – Die Conclusio

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„Ich finde“, sagt der Regisseur, „wir sollten dem Gorilla, um seine Urwüchsigkeit zu unterstreichen, einen Schurz aus Leopardenfell geben. Um dem Publikum Handhabe zum Verständnis der komplexen Umstände auf der Bühne zu bieten.“ Er schaut sich im Kreis seiner Mitarbeiter um. „Gibt es irgendwelche Einwände?“ Die Frauen aus der Kostümabteilung blicken betreten zu Boden. „Gut“, sagt der Regisseur. „Dann herrscht zumindest in dieser Frage Einmütigkeit. Ich werde mich jetzt zurückziehen und noch einmal in den Text vertiefen. Das Wortmaterial sichten und eingehend prüfen. Es versteht sich von selbst, dass ich dabei nicht gestört werden will.“ Vor der Garderobentür erwartet ihn…

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Fälschung & Original

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Frau im Matrosenkleid wiegt sich zu einer Melodie im Dreiviertel Takt. Mann sitzt auf einem Küchenstuhl und zieht sich die Schuhe aus. Frau: Gefallsucht, Eitelkeiten und ’ne Buddel voll Rum. Ein Sehnen, das in mir liegt und nach der Weite des Ozeans weint. Mann: Geh, hol mir ein Glas Bier! Oder bring gleich die Flasche – ich habe einen Mordsbrand. Frau geht in die Küche. Mann schaut ihr hinterher, zieht die Socken aus, streicht sie auf dem Oberschenkel glatt und rollt sie zu einem Ball zusammen. Frau: Die Rhythmik des Wellengangs, die Frequenzen der Strömung. Alles fließt – alles ist…

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Stammvaters Söhne

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Ein Musste-Sehen, der Ort zu sein. Nein, DER Ort, wo man gewesen sein muss. Der Ort, an dem die Zeit einst stehenblieb. Haste nicht gesehen, haste echt noch nichts gesehen. Und wenn in deinem Leben du nur einen Ort noch sehen könntest, wähle diesen! Weiterbetrieb wie Wetterbericht wie Erbenverzicht wie des Bruders Lieblingslinsengericht, schon wird aus Zweit- die Erstgeburt. Kennt jemand die geheime Zutat? Ich verwende Federstrich und Nackenschlag, erhöhe den Takt, das Denkvermögen und Vaters Erbe ist jetzt meins. Und wenn der alte Patriarch erst stirbt, der jüngste Sohn das Grab bewirbt: Kommt nach Hebron, seid da oder bereut…

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Umgang und Verständigung Teil II – Der Neue

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Der Regisseur geht mit einem neuen Schauspieler durch das halbdunkle Theater. Regisseur: Was kann ich über die Rolle sagen? Es ist nur ein ganz unbedeutender Part. Drei, vier Absätze. Kurze Wörter. Geläufige Sprache. Na ja, anspruchsvoll in der gebückten Haltung, die man die ganze Zeit einnehmen muss. Und im Gorillafell wird es ziemlich heiß, ziemlich schnell. Eigentlich ist die Rolle meinem Neffen versprochen, aber, ganz unter uns, ich traue sie ihm nicht zu. Der Junge übertreibt es immer. Zu groß die Gesten, zu laut die Stimme. Währenddessen wartet sein Neffe darauf, dass er aus einem Käfig auf der Bühne befreit…

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Im Tal oder Wer gar zu viel bedenkt, wird wenig leisten

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Als der obrigkeitshörige, sprichwörtliche Kleine Mann eines Tages der Statue des hiesigen Landvogts durch die vorschriftsmäßige Verbeugung und den seit Generationen überlieferten Gruß ‚Gebenedeit seiest du unter den Landvogten’ seine Ehrerbietung dargebracht hatte, fiel ihm der unangenehm kotige Geruch auf, welcher der bronzenen Plastik entströmte. „Nanu“, sagte er erschrocken zu sich, „was ist denn das? Warum verbreitet der Landvogt diesen Gestank? Es wird ihm doch nicht etwa missfallen hier bei uns, in unserem schönen und sicheren Tal?“ Der Gestank, so schien es dem Kleinen Mann, gewann mit jedem Atemzug an Intensität. Der Kleine Mann kämpfte gegen einen Brechreiz an. Aus dem…

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Umgang und Verständigung

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Auf der Bühne sitzt ein Menschenaffe in einem für seine Größe viel zu kleinen Vogelbauer und spielt mit seinem Mobiltelefon. Dabei summt er ein Lied. Zwei kleine Mädchen bleiben stehen und stecken Buntstifte zwischen die Gitterstäbe, um den Affen zu reizen. Der lässt sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen. Affe: Von der Schattenseite betrachtet, sieht die Sonnenseite verheißungsvoll und anstrebenswert aus. (pausiert und wischt hektisch über das Display) Das täuscht. Das täuscht gewaltig. Beide Seiten. Es ist nicht angenehm, wenn man neidet; es ist höchst unangenehm, beneidet zu werden. Die Mädchen verspotten ihn, indem sie das Wort ‚Bettwanzenaffe’ wiederholen….

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Fundevogel

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Fundevogel. Ich hätte gern ein Pfund Fundevogel. Was muss ich hören, was muss ich vernehmen, Fundevogel ist aus? Der letzte Kunde bekam den letzten Schenkel, den letzten Flügel, die letzte Brust? Und wenn wir sagen, angenommen, wir sagen, ich sei der allerletzte Kunde, gibt es nicht doch vielleicht ein aller-allerletztes Stück für mich? Versprach ich doch den Kindern, den Alten vor Ort, den Mädchen, den Knaben im Dorf den Braten. Gibt es da keine Möglichkeit – vielleicht wenn ich einen kleinen Aufschlag zahle? Wie wäre es mit Pralinen, mit einem Blumenstrauß für die werte Gattin, dem liebreizendem Geschöpf? Ein von…

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