Umgang und Verständigung

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Auf der Bühne sitzt ein Menschenaffe in einem für seine Größe viel zu kleinen Vogelbauer und spielt mit seinem Mobiltelefon. Dabei summt er ein Lied. Zwei kleine Mädchen bleiben stehen und stecken Buntstifte zwischen die Gitterstäbe, um den Affen zu reizen. Der lässt sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen. Affe: Von der Schattenseite betrachtet, sieht die Sonnenseite verheißungsvoll und anstrebenswert aus. (pausiert und wischt hektisch über das Display) Das täuscht. Das täuscht gewaltig. Beide Seiten. Es ist nicht angenehm, wenn man neidet; es ist höchst unangenehm, beneidet zu werden. Die Mädchen verspotten ihn, indem sie das Wort ‚Bettwanzenaffe’ wiederholen….

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Fundevogel

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Fundevogel. Ich hätte gern ein Pfund Fundevogel. Was muss ich hören, was muss ich vernehmen, Fundevogel ist aus? Der letzte Kunde bekam den letzten Schenkel, den letzten Flügel, die letzte Brust? Und wenn wir sagen, angenommen, wir sagen, ich sei der allerletzte Kunde, gibt es nicht doch vielleicht ein aller-allerletztes Stück für mich? Versprach ich doch den Kindern, den Alten vor Ort, den Mädchen, den Knaben im Dorf den Braten. Gibt es da keine Möglichkeit – vielleicht wenn ich einen kleinen Aufschlag zahle? Wie wäre es mit Pralinen, mit einem Blumenstrauß für die werte Gattin, dem liebreizendem Geschöpf? Ein von…

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Die Fußgängerin

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Spare in der Not, so wirst Du im Überfluss reichlich haben, dachte eine Fußgängerin, die über eine Brücke ging, um die Eisenbahngleise der großen Stadt, in der sie lebte, zu überqueren. Ein Stückchen hinter dem Brückenmittelpunkt lehnte ein Mann gefährlich weit über das Geländer. „Pass auf, sonst fällst du runter!”, rief sie ihm zu und wollte weitergehen. Doch der Mann beugte sich noch tiefer über die Brüstung. Die Fußgängerin überlegte, den Mann zu überreden, seine Absicht zu überdenken. Der Mann kam ihr zuvor. „Siehst du die Löwen dort unten? Sie sind hungrig. Die Löwenmutter kann ihre fünf Kinder nicht mehr…

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Opas Suche nach Zuwendung

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„Opa will private Fotos sehen. Zeigt Opa mal das Album!“ Und mit wütendem Bedauern fügt der rüstige Rentner hinzu: „Niemand lädt Opa zu privaten Partys ein.“ Wenn er sich einmal in Rage geredet hat, kennt Opa kein Halten; dann strömt es geradezu aus seinem Volksmund: „Es heißt immer ‚Opa du lebst wohl hinterm Mond’ oder ‚Opa, deine Hose riecht so komisch, Opa, geh weg!’ und das ist schade, denn ihr jungen Leute könntet von Opas Erfahrungen profitieren. Opa kennt Tricks und Kniffe.“ Widerwillen und Abscheu breiten sich um den Rentner aus; das Liebespaar schließt das Fotoalbum und verlässt eilig die…

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An Tagen wie jenen oder Aequis aequus

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Zu welchem Zeitpunkt musste Alexander Gauland (nicht verwandt) so herzlich lachen, dass ihm ein Knopf vom Hemd sprang? Es war der Augenblick, als der schwangeren Nachbarin ein Ziegelstein auf den Kopf fiel, der Stein zerbrach und sie sich erstaunt umsah, ohne jedoch die Ursache ihres plötzlichen Kopfschmerzes ausmachen zu können. Wenige Stunden zuvor hatte sie noch mahnend zu ihrem Ungeborenen gesagt, dass die Welt außerhalb des Körpers ein rauer und ungemütlicher Ort sei. Das Kind solle nur gut auf die Worte der Mutter hören – die wisse, wovon sie rede. Und das Baby hatte lächelnd gelauscht und, von der Mutter…

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Der Betrachter

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Gibt es eine Ausfahrt aus diesem Kreis, aus diesem Kreisverkehr, aus diesem Teufelskreis? Verlassen Sie ihn langsam, auf dass Sie nicht hinausgeschleudert werden. An sonnigen Tagen wie heute tragen Sie ruhig einen blickdurchlässigen Rock; so etwas kommt beim Betrachter gut an. Der Betrachter ist ein wohlriechender Mann in der zweiten Reihe. Und aus dieser zweiten Reihe traut er sich zu schauen, einfach zu schauen, wie das Leben der anderen vonstatten geht. Seine Zeit steht, steht, steht stets still – ob er nun will oder nicht, ist von außen kaum ersichtlich. Offenbar lebt der Betrachter in jedem von uns, denn oft…

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Eine Partie Antipathie

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Ich hasse sie. Sie hat mich immer schon gehasst. Am Anfang hat sie ganz freundlich getan und gesagt: „Frau Lenz, ich bin auf Ihrer Seite. Wenn Sie irgendwelche Fragen, Sorgen oder Probleme haben, kommen Sie einfach damit zu mir.“ Wahrscheinlich hat es sie gewurmt, dass ich nie Probleme hatte. Manchmal konnte ich nicht in die Kanzlei kommen, weil mich ihr Hass so abgestoßen hat. Ständig wollte Sie, dass ich Dinge mache, Sachen erledige, Aufgaben ausführe. Zum Glück habe ich einen verständnisvollen Hausarzt. Ja, es stimmt, ein wenig gruselig fand ich ihn bei meinem ersten Besuch schon. Er war viel kleiner…

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Die Vergangenheit des Anderen

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Ein quadratischer Mann steht mit hängenden Schultern vor einer Baustelle. Könnte ich sehen, was er sieht, denken, was er denkt, wüsste ich, dass er vor seinem inneren Auge am Strand vergangenen Chancen und Möglichkeiten nachtrauert. War da nicht diese junge Schönheit gewesen, die ihm, siebzehnjährig und voller Selbstzweifel, zugeblinzelt hatte? Verheißungsvoll zugeblinzelt hatte. Hätte er nicht die Gelegenheit beim dunklen Schopf ergreifen sollen, ja müssen? „Haben Sie auch beim Bau gearbeitet?“ frage ich, doch er verbessert mich sogleich: „Auf dem Bau. Oder auch am Bau. Aber niemals beim Bau. Der Bau ist doch kein Arbeitgeber.“ Nach einem Moment rückbesinnenden Schweigens…

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Schnittstelle

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Meine Frau, meine Frage, meine Haltung, meine Homepage, meine Hand. Deine Demut, deine Deutung, dein Gottproblem, dein Daniel. Und nun zu einem späteren, einem anderen, einem kleinen Raum: ein Topf. „Das neide ich dir – ein schönes Wochenende.“ Sagt wer? Bernhard und Emmerich und Felix. Und ich und Weltenbummler, mein Hund aus Kindertagen. Es war ein großer, ein freier Fall von Frühlingsfehler, ein Paar, ein bisschen überholt. Es ist schon merkwürdig, fast aller Ehren wert. Es geschehen Zeichen und ich wundere mich noch immer, WAS alles wohl passieren wird. Weltenbummler sieht mich aus großen Augen an und auf der Stelle…

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Schultage

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Als Junglehrer Bodo Sonnenschein eines Morgens mit missbilligendem Blick festgestellt hatte, dass der kleine Michael wieder einmal den Unterricht schwänzte, war Zorn in ihm gewachsen – Zorn auf die Dummheit der Menschen im Allgemeinen und auf die seiner Schüler im Besonderen – und dieser Zorn verlangte nach Raum und nach Luft zum Atmen. Herr Sonnenschein nestelte an Knöpfen, schlüpfte aus seinen Hosen und präsentierte der Klasse seinen knittrigen Unmut. Die Aufgabenstellung des Tages war ‚Maritimes Erleben‘, und der kleine Michael hatte behauptet, von diesem Thema begeistert zu sein. Bodo Sonnenschein hätte den Jungen heute gern glänzen lassen; er mochte den…

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