Ballsaison

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Der Ballsaal füllt sich langsam zu beiden Seiten. In der Mitte wird noch Platz gelassen, denn vor dem Eröffnungstanz darf die Saalmitte nicht betreten werden. Nur Geraune ist zu hören, man will sich nicht zu früh hervortun. Die Logen zum Bersten gefüllt, wie von Maden befallene Austern. Brillanten und Kronleuchter klackern, Schweißperlen sammeln sich Achselhöhlen und bereiten Gestank vor. Hälse werden gereckt, voller Gier nach Häppchen und Spezereien. Wie zusammengetriebene Schafe reiben sich die Gäste im Foyer aneinander. Ungeduld wabert durch die Räume. Die Stimmung kann jederzeit kippen. Da spielt das Orchester einen Klimbim. Stille. Der Hufrat betritt klappernden Schrittes…

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Der Überfall

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Ich war wild entschlossen, für immer auf dem Linoleumboden in meiner Diele sitzen zu bleiben. Den Rücken bequem an den Filzbelag der Wohnungstür gelehnt. Den Luftzug, der unter der Türritze hindurchwehte, ganz sacht durch meinen flauschigen Bademantel am Hintern spüren. Einmal die Woche den Zehnliter-Kanister mit Wasser aus der Leitung füllen und ihn dann im Laufe der Tage mit einem langen, neonblauen Partystrohhalm austrinken. Was das Pinkeln anging, vertraute ich auf die Saugkraft meines hochwertigen Fußabstreifers. Mein Ziel war, ganz mager zu werden und schließlich in den Frotteeschlaufen des Mantels zu verschwinden. Das behäbige Treiben der Staubmäuse würde mir ausreichend…

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Das Kind

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Im Gegensatz zu den Frauen aus Rundfunk und Fernsehen, bekam ich das Kind nicht unter Schmerzen, wie der Herr es angeordnet hat. Es saß eines Morgens am Küchentisch, als sei es aus einem Werbefilm für arisches Dauerbrot geflohen. Einzig der bis zum zweiten Gelenk ins Nasenloch gebohrte Zeigefinger verlieh ihm etwas Menschliches. Dass ich nichts mit dem Jungen anzufangen wusste, ist meiner Egozentrik und Introvertiertheit geschuldet. Achselzuckend meldete ich ihn an einer gewöhnlichen Schule an. Er steckte voller Klugheit und Neugier, was ihm dort nicht auszutreiben war. Mit der Zeit gewöhnte ich mich an ihn und er übergoss mich mit…

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Die Feige

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Die Nacht ist mir auf den Kopf gefallen. Mit einem Schlag dunkelt es. Davor fürchte ich mich nicht. Es gibt immer einen guten Grund ein Feigling zu sein. Einmal hatte ich Wichtigeres zu tun. Ein ander Mal machte ich mir Sorgen um meinen guten Ruf. Oder war es ein behagliches Leben? Wenn er mich gebeten hätte. ‚Sei kein Feigling, bitte!‘ Von hier oben sieht das Städtchen ganz freundlich aus. Die Hügel am Horizont, davor eine Ebene – ich würde gerne sagen, es sei eine Steppe. Ich schätze Übersichtlichkeit. Deshalb gefällt es mir gut, dieses Haus mit dem Türmchen, am Hang eines Weinbergs. Die Straße zum…

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In Wahrheit

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In Wahrheit trage ich gefrorene Wolken anstatt eines Gehirnes im Kopf. In Wahrheit will ich ein Sonnensystem, das auf meinen Namen getauft ist, entdeckt von einem Doktor der Physik, der roten Auges und krank vor Gefühl jahrelang den Nachthimmel danach abgesucht hat. In Wahrheit soll ein Störfeuer in meinem Ohr angezündet werden. Das schmilzt den Wolkenfrost zu Tropfen, die mir das Rückenmark hinab rinnen und ich bekomme endlich Platz für ein Gehirn. In Wahrheit bin ich nur auf das Knistern im Gehörgang aus, damit ich den Panflötenspieler nicht mehr hören muss. Dann bin ich frei vom Drang ihn mit seinem…

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Bettelmanns Herberge

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„Bettelmann, Bettelmann, Siegerkranz und Opferlamm!“, singen die schmutzfüßigen Kinder bis Heute in den Gassen und außer mir weiß niemand mehr warum. Es muss im siebten oder achten Monat des Großen Krieges Anderswo gewesen sein, als ich Bettelmann begegnete. Er hatte die Angewohnheit, mitten im Satz innezuhalten, den Kopf nach hinten zu beugen und durch einen Spalt zwischen den Schneidezähnen einen feinen Strahl zu spucken. Dabei war es Bettelmann gleichgültig, ob sich die Umgebung eignete bespien zu werden. Zusammen mit dem Tabaksaft aus feinstem Pfriem versprühte er Charme und allerlei Geistreiches, sodass kein Mensch an dieser Unart Anstoß nahm. Verkrustete Existenzen zogen…

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Das lahme Ohr

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Oberinspektor müsste man sein. Nicht bei der Polizei oder dem Finanzamt, Gott behüte! Eine obskure Behörde will ich. Irgendein Mischdings aus Schlösser und Seen, Gastgewerbe und Strafvollzug. Das Geschäft mit der Aufseherei ist mir nämlich in die Wiege gelegt. Dumm nur, dass ich ein lahmes Ohr habe. Nie weiß ich, ob das Feldaufschwung oder Felgaufschwung heißt. Dabei ist das so wichtig: für das Bruttosozialprodukt, die Bankenkrise und das große Blablabla. Mit dem bösen Wolf. Schließlich muss man für Kuchen und Wein Platz haben. Körbchengröße. Körbchengrüße. Warum hab ich so große Brüste? Das ist unpraktisch beim Geräteturnen. Zur Schlafenszeit ging alle…

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Bratwerk

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Das quietscht wie eine Maschine, die jahrzehntelang nicht in Betrieb war. Oben gibt es einen Trichter, da steckt man rein, was immer man quälen will. Zuerst fällt man durch einen Tunnel, dessen Wände mit Spießen, Haken und Stacheln bedeckt sind. Das ist nicht so schlimm, aber das weiß man noch nicht. Erst im Walzwerk bemerkt man das. Manche haben Riffel, andere sind glatt oder kleine Nägel stehen hervor. Die eine ist heiß, die nächste lässt einen frieren. Mal drehen sie sich links- mal rechtsherum. Gerade das richtige Gewicht haben die Walzen, damit man nicht zerquetscht wird, sondern nur einen Eindruck…

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„Unbehagen in Bad Sodom“ – ein Blick ins Buch

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Samuel Duda seufzte innerlich. Nach außen drang kein Laut. Er ließ von der Kiste ab und setzte sich. Traurig blickte er aus dem Fenster. Zäh quoll der Verkehr durch die Hauptstraße von Bad Sodom. Er schaute auf die andere Seite der Straße, wo auf den Dachterrassen die Nachmittagssonne alles in warmes Licht tauchte. Da drüben, dachte er, müsse die Welt in Ordnung sein. Die Straßenseite, auf der er lebte, lag wie immer im Schatten. Er hatte den ganzen Vormittag versucht, die vermaledeite Kiste zur Wohnungstür zu schaffen, aber sie war zu schwer. Und selbst wenn er die Wohnungstür erreichen würde,…

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