Kurzgeschichten

Allerdings

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Es gibt Tage, da erwacht man morgens mit schweren Lidern in einem Bett aus klebrigem Gummi. Allerdings, die Lider kann man sich heutzutage vom Operateur entfernen lassen. Das schützt auch vor Lidkrebs, wie man hört. Und das ist ja das A und O: schützen und vorsorgen. Wobei ich für beides nicht viel übrig habe und für vorsorgliche Entfernung schon gleich dreimal nicht. Allerdings, meine Großmutter hat immer gesagt: Böse Menschen haben keine Lider. Und wer will schon von aller Welt auf den ersten Blick als böser Mensch erkannt werden, nur um morgens besser aus dem Bett zu kommen? Ich jedenfalls…

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Hängt den Lurch!

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Wie oft kann man berechtigterweise „Hängt den Lurch!“ rufen, bevor man selbst zum Lurch wird? Reinhard wollte nicht immer schon Künstler sein. Lange Jahre war ihm der Gedanke, sich in einem Getränkemarkt, irgendwo in der deutschen Provinz, bis zum Abteilungsleiter hochzuarbeiten, nicht fremd und nicht unangenehm gewesen. Rechtschaffene Arbeit erschien Reinhard ein erstrebenswertes Ziel. Nicht um Reichtümer anzusammeln, aber immer so viel Geld ‚auf Tasche‘ zu haben, dass man berechtigt wäre, am Spiel der Erwachsenen teilzunehmen. Bis ihm eines Tages der Geist des Mädchens, in das er zu Grundschulzeiten verliebt gewesen war, auf dem Weg zur Restmülltonne begegnete. Das Mädchen…

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Das Odikolon

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Als ich vor ein paar Tagen am Briefkasten vorüberging, stieg mir der Duft von Kölnisch Wasser in die Nase, mit dem mein Vermieter seine Briefe zu parfümieren pflegt. Voller Unbehagen nahm ich den lila Umschlag in die Hand und befühlte ihn vorsichtig. Nur ein Blatt. Sehr geehrte Mieterin … blablabla … im Angesicht der rasenden Inflation sehen wir uns gezwungen … blablabla … Mieterhöhung um 15% … blablabla … gesetzeskonform. Sollte ich die Erhöhung ablehnen, stünde es mir frei, zur bisherigen Miete in den Fahrradschuppen zu übersiedeln. Als Dank für jahrelange Treue würde mir in den nächsten Tagen ein Fläschchen…

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Die Nachbarin

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Ich traf heute die Nachbarin. Im Hof. Sie trug ein geschmackvolles rotes Oberteil, dessen bin ich mir ganz sicher. Ich schmunzelte, weil ich mich an ein Gespräch erinnerte, das wir mal in der Stadt geführt hatten, und in dessen Verlauf relativ schnell offensichtlich wurde, dass sie mich außerhalb unseres Wohnblocks nicht richtig zuordnen konnte und mich mit jemanden verwechselte. Gut sähe ich aus, viel besser als beim letzten Mal. Wann ich denn mal wieder ins Taj Mahal käme, der Stammtisch würde sich jetzt immer dienstags treffen. Spätestens da hatte ich Gewissheit. Das Taj Mahal war mir nur vom Vorbeigehen bekannt…

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Blutsbande

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Wenn man sonst keine Sorgen hat, lockt einen das Abenteuer. Um von den Mitmenschen nicht als verdeckter Pauschaltourist belächelt zu werden, muss das Unterfangen von kolossaler Waghalsigkeit sein. Barfuß mit nur einer Malakofftorte als Proviant ins Hochgebirge zum Beispiel. Oder man umsegelt die Welt in 80 Tagen auf einem Käsebrot. Gerät man in Kalamitäten, ist einem die Aufmerksamkeit der Medien und Langweiler rund um den Globus sicher. Es gibt Leute, die mögen das. Sabine Pelzfuß gehört nicht dazu. Die Betreuung ihrer alten Mutter ist für sie abenteuerlich genug und auf neunmalkluge Ratschläge und neugierige Blicke kann sie getrost verzichten. Nunja….

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Unkündbar

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„Du siehst nicht aus, als seist du sonderlich glücklich in deinem Job“, sagte Jonas Pfeffersuder, nachdem er mich prüfend von oben bis unten gemustert hatte. In der Grundschule hatten wir zusammen am Gruppentisch „Die Hummeln“ gesessen und ich wunderte mich, dass er mich nach der langen Zeit überhaupt erkannte. Er selbst hatte sich kaum verändert, nur ein bisschen gewachsen war er. Wie zu Schulzeiten trug er kurze Hosen mit Hosenträgern und sein Specknacken glänzte in der Sonne wie ein goldener Schal aus Fett. Da ich tatsächlich nicht zufrieden mit meiner Arbeit war, nahm ich sein verlockend klingendes Angebot an. Unbefristeter…

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Der Eremit

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Nun liege ich schon seit mehreren Jahrzehnten in meiner Mönchszelle auf meiner vor Dreck starrenden Pritsche und betrachte meist die Zimmerdecke und den dichten Vorhang, der bis zum Boden reicht und das Licht draußen vor dem Fenster hält. Meine Haut ist dünn wie Butterbrotpapier und wenn ich des Nach-oben-schauens müde geworden bin, sehe ich dem Blut beim Fließen durch die Adern zu. Irgendwo in der Außenwelt schreien immer Kinder. Der Name eines bestimmten Jungen wird heute besonders häufig gerufen und ich wünschte, er würde endlich ansprechen. „Daniel!“, brüllen sie, „Daaaaaa-niel! Daaaaaaaaa-niel!“ Es ist kaum zu ertragen. Entweder ist der Junge…

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Auf der Goldwaage

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Durch einen simplen Katarrh bin ich unlängst einem beachtlichen Menschheitsproblem auf die Spur gekommen. Die Benutzung der eigenen Stimme verbraucht zu wenig Energie. Der Mensch vermag in beliebiger Lautstärke und endlosen Wiederholungen in Wald, Stadt und Flur Nichtigkeiten dahinzuposaunen, ohne dass es ihn die geringste Mühe kostet. Seit ein paar Tagen bringe ich nicht mehr als ein gebrochenes Flüstern zustande und bereits nach drei oder vier Sätzen muss ich ein Schläfchen halten, um wieder zu Kräften zu kommen. Da überlegt man sich gut, ob eine Sache der Erwähnung wert ist. Dazu kommt, die Umwelt ist gar nicht auf leise Töne…

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Was weiß die KI vom Frühling?

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„Sicher nicht!“ Zwei Schriftsteller stehen unangenehm nah beieinander und mustern den Kampfeswillen des jeweils anderen. „Sicher nicht“, äfft der zweite den ersten nach. „Bleib mir vom Leibe mit der Modernität! Gib mir ein Tintenfass und einen Gänsekiel!“ „Du weißt, dass das Quatsch ist, was du da sagst, oder? Ich behaupte ja nicht, dass wir nicht mit der Zeit gehen sollen – ich sage lediglich, dass ich nicht in einer Welt leben möchte, wo die Menschen niedrige Arbeiten für einen kargen Hungerlohn verrichten und die Maschinen Zeit und Muße haben, Bilder zu malen und Geschichten zu schreiben.“ Der zweite Schriftsteller schubst…

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