Kurzgeschichten

Ish-Ak

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Ich habe eine Prinzessin gekannt. Mit Augen, die glühten oder sprühten oder Funken stiebten, je nachdem, wie die Prinzessin es gerade wollte. Sie war außergewöhnlich dick und jedes Gramm ihres Gewichts in Gold und Juwelen wert. Wer immer in ihre Nähe kam, konnte nicht lange Trübsal blasen. In ihrem Garten lebte ein Pferd mit goldenem Fell und schwarzer Mähne. Eins seiner Augen war für die Welt verschlossen. Mit ihm betrachtete es aufmerksam das Universum, während es den Gesängen der Prinzessin lauschte. Eine Göttin fand gefallen an den beiden und wollte sie bei sich haben. So erschien sie eines Abends in…

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Im Tal oder Wer gar zu viel bedenkt, wird wenig leisten

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Als der obrigkeitshörige, sprichwörtliche Kleine Mann eines Tages der Statue des hiesigen Landvogts durch die vorschriftsmäßige Verbeugung und den seit Generationen überlieferten Gruß ‚Gebenedeit seiest du unter den Landvogten’ seine Ehrerbietung dargebracht hatte, fiel ihm der unangenehm kotige Geruch auf, welcher der bronzenen Plastik entströmte. „Nanu“, sagte er erschrocken zu sich, „was ist denn das? Warum verbreitet der Landvogt diesen Gestank? Es wird ihm doch nicht etwa missfallen hier bei uns, in unserem schönen und sicheren Tal?“ Der Gestank, so schien es dem Kleinen Mann, gewann mit jedem Atemzug an Intensität. Der Kleine Mann kämpfte gegen einen Brechreiz an. Aus dem…

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Abends bei Familie Pelzfuß

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Die Holzscheite knackten im Kamin und die Flammen warfen mit tanzenden Schatten um sich. Frau Pelzfuß erhob sich aus dem Lehnsessel und streckte sich. „Was hast du denn da für einen Leberfleck?“, fragte Hubert, ihr Mann, und ließ vor Schreck den Schürhaken fallen, mit dem er seit Minuten in der Glut gestochert hatte. Frau Pelzfuß legte die Finger an eine Stelle am Hals, knapp unter dem Ohr. „Ach, das ist nur eine Reflexion des Feuers“, wehrte sie lachend ab. „Nein!“, widersprach Hubert. „Das ist der Hautkrebs! Ich weiß, dass es der Hautkrebs ist.“ Er sprang auf und stürzte auf seine…

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Umgang und Verständigung

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Auf der Bühne sitzt ein Menschenaffe in einem für seine Größe viel zu kleinen Vogelbauer und spielt mit seinem Mobiltelefon. Dabei summt er ein Lied. Zwei kleine Mädchen bleiben stehen und stecken Buntstifte zwischen die Gitterstäbe, um den Affen zu reizen. Der lässt sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen. Affe: Von der Schattenseite betrachtet, sieht die Sonnenseite verheißungsvoll und anstrebenswert aus. (pausiert und wischt hektisch über das Display) Das täuscht. Das täuscht gewaltig. Beide Seiten. Es ist nicht angenehm, wenn man neidet; es ist höchst unangenehm, beneidet zu werden. Die Mädchen verspotten ihn, indem sie das Wort ‚Bettwanzenaffe’ wiederholen….

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Schiffbruch

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Ein junger Mann, ganz mager ist er. Wie auf dieser berühmten Photographie, die einige Häftlinge hinter Stacheldraht zeigt, nur dass sein Schädel nicht kahlgeschoren ist. Er trägt das Haar zu einer Welle geföhnt, die auf seiner Stirn sitzt. Ein Kapitell auf der Fontanell‘. Mit Nachdruck setzt er seine Tasse auf dem Kaffeehaustischchen ab und ruft: „Ich überlege, mir ein Containerschiff zu kaufen! Ich habe es satt, immer nur die Brosamen aufzupicken und in meinen Jackentaschen zu sammeln! Mein Leben ist eine Auffädelung von Perlen, die im Ozean der Belanglosigkeit gewachsen sind. Eine stete Wiederholung von sich niederlegen und wieder erheben,…

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Fundevogel

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Fundevogel. Ich hätte gern ein Pfund Fundevogel. Was muss ich hören, was muss ich vernehmen, Fundevogel ist aus? Der letzte Kunde bekam den letzten Schenkel, den letzten Flügel, die letzte Brust? Und wenn wir sagen, angenommen, wir sagen, ich sei der allerletzte Kunde, gibt es nicht doch vielleicht ein aller-allerletztes Stück für mich? Versprach ich doch den Kindern, den Alten vor Ort, den Mädchen, den Knaben im Dorf den Braten. Gibt es da keine Möglichkeit – vielleicht wenn ich einen kleinen Aufschlag zahle? Wie wäre es mit Pralinen, mit einem Blumenstrauß für die werte Gattin, dem liebreizendem Geschöpf? Ein von…

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Die Fußgängerin

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Spare in der Not, so wirst Du im Überfluss reichlich haben, dachte eine Fußgängerin, die über eine Brücke ging, um die Eisenbahngleise der großen Stadt, in der sie lebte, zu überqueren. Ein Stückchen hinter dem Brückenmittelpunkt lehnte ein Mann gefährlich weit über das Geländer. „Pass auf, sonst fällst du runter!”, rief sie ihm zu und wollte weitergehen. Doch der Mann beugte sich noch tiefer über die Brüstung. Die Fußgängerin überlegte, den Mann zu überreden, seine Absicht zu überdenken. Der Mann kam ihr zuvor. „Siehst du die Löwen dort unten? Sie sind hungrig. Die Löwenmutter kann ihre fünf Kinder nicht mehr…

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Großmutters Luftschläge, Echo

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Nettigkeiten und schöne Reden verleiten mich leicht. Früher dachte ich, das sei ein Zeichen von Einfalt und wünschte mir eine große Portion dieses abgebrüht-sachdienlichen Misstrauens, das sich allseits großer Beliebtheit erfreut, weil man damit Abteilungsleiter werden kann oder sogar Filmregiesseurin. Aber, je! Wann immer ich eine bekam, lag sie mir schwer im Magen, wie eine Schweinshaxe, und ich konnte mich nicht mehr rühren. Also tat ich, wie es mich meine Großmutter gelehrt hatte und fragte Gott, was da zu tun sei. Doch der wusste keinen Rat, denn solcher Kram ist ihm fremd. Im Zweifelsfall, meinte er, solle ich alles lassen,…

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Opas Suche nach Zuwendung

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„Opa will private Fotos sehen. Zeigt Opa mal das Album!“ Und mit wütendem Bedauern fügt der rüstige Rentner hinzu: „Niemand lädt Opa zu privaten Partys ein.“ Wenn er sich einmal in Rage geredet hat, kennt Opa kein Halten; dann strömt es geradezu aus seinem Volksmund: „Es heißt immer ‚Opa du lebst wohl hinterm Mond’ oder ‚Opa, deine Hose riecht so komisch, Opa, geh weg!’ und das ist schade, denn ihr jungen Leute könntet von Opas Erfahrungen profitieren. Opa kennt Tricks und Kniffe.“ Widerwillen und Abscheu breiten sich um den Rentner aus; das Liebespaar schließt das Fotoalbum und verlässt eilig die…

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Hausgemeinschaft

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Die Seele ist ein Gas. Genaueres weiß man nicht. Ob es gesammelt wird, um aufsässigen Menschen die Schleimhäute zu reizen oder damit man nachts besser schlafen kann, wird im Radio nicht berichtet. Gewiss kann man daran ersticken, wir ersticken vielleicht alle daran, früher oder später. Meine Nachbarin ist vor dem Erstickungstod gefeit, denn sie hat keine Seele. Tagein tagaus ist sie hektisch damit beschäftigt, eine vorzutäuschen. Sogar ein Ehrenamt in der Kinderklinik hat sie zu diesem Behufe angenommen. Unermüdlich bietet sie ihre Hilfe an, egal ob Umzüge, Liebeskummer, Blumengießen, eingewachsene Zehennägel oder Familienaufstellungen. Sie kennt sich mit allem aus, was…

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