Umgang und Verständigung Teil II – Der Neue

Der Regisseur geht mit einem neuen Schauspieler durch das halbdunkle Theater.

Regisseur: Was kann ich über die Rolle sagen? Es ist nur ein ganz unbedeutender Part. Drei, vier Absätze. Kurze Wörter. Geläufige Sprache. Na ja, anspruchsvoll in der gebückten Haltung, die man die ganze Zeit einnehmen muss. Und im Gorillafell wird es ziemlich heiß, ziemlich schnell. Eigentlich ist die Rolle meinem Neffen versprochen, aber, ganz unter uns, ich traue sie ihm nicht zu. Der Junge übertreibt es immer. Zu groß die Gesten, zu laut die Stimme.

Währenddessen wartet sein Neffe darauf, dass er aus einem Käfig auf der Bühne befreit wird.

Neffe im Affenkostüm: An anderen Tagen werfe ich mit Kusshänden um mich, zwinkere Fremden zu und vergnüge mich mutwillig inmitten meiner Mitmenschen. „Hört, ihr Leute“, hört man mich sagen, „sich regen birgt eine gewisse Gefahr, gewiss, doch lohnt es sich.“ Sich regen ist wie Graupensuppe aus den Schädeln der Ahnen zu trinken, vorausgesetzt natürlich, dass sie bereits verstorben sind. Wenn gar nichts hilft, kann man sich mit der Freude herausreden, die man empfunden hat, als die ersten Frühlingsblumen ihre Köpfe aus der gestern noch gefrorenen Erde herausstreckten.

Regisseur: Ich will die Rolle völlig anders anlegen. Mir schwebt eine Art Demut vor, die mein Neffe nicht hinbekommt: Die Demut einer mit dem Tode ringenden Frau, die ihr letztes Papiertaschentuch verwendet, um ihrem verwöhnten Verwandten den schwitzenden Käse in der Butterbrotdose trocken zu tupfen.

Hinter der Bühne flüstern eine Maskenbildnerin und eine Kostümassistentin.

Maskenbildnerin: Also mich erinnert der Maestro immer ein bisschen an den ersten Bundespräsidenten, Theodor Hess. So von seiner ganzen Art und so.

Kostümassistentin: Hieß der nicht Höß?

Maskenbildnerein: Still jetzt! Da kommt der Neue.

Schauspieler: Demut kenne ich schon seit frühster Kindheit. Sie ist mir sozusagen in die Wiege gelegt worden. Ich lebe so nah an der Grenze zum Nichts, habe mein Selbst derartig überwunden, dass ich …

Regisseur: Danke, ich habe genug gehört. Wir werden uns bei Ihnen melden, wenn es losgeht.