Unkündbar

„Du siehst nicht aus, als seist du sonderlich glücklich in deinem Job“, sagte Jonas Pfeffersuder, nachdem er mich prüfend von oben bis unten gemustert hatte. In der Grundschule hatten wir zusammen am Gruppentisch „Die Hummeln“ gesessen und ich wunderte mich, dass er mich nach der langen Zeit überhaupt erkannte. Er selbst hatte sich kaum verändert, nur ein bisschen gewachsen war er. Wie zu Schulzeiten trug er kurze Hosen mit Hosenträgern und sein Specknacken glänzte in der Sonne wie ein goldener Schal aus Fett.
Da ich tatsächlich nicht zufrieden mit meiner Arbeit war, nahm ich sein verlockend klingendes Angebot an. Unbefristeter Vertrag, freie Zeiteinteilung, acht Wochen Urlaub im Jahr, jeden Tag ein Apfel und Dienstschuhe – wer hätte da ablehnen können?
Seit zwei Jahren arbeite ich nun als Schmäh-Double und halte meinen Schädel hin, wenn die Reichen, Mächtigen und Prominenten aufgrund von Fehlverhalten ins Gerede kommen. Ob Steuerhinterziehung, Sex mit Minderjährigen, rassistische Äußerungen oder ein Einmarsch im Nachbarland, ich nehme die gesellschaftliche Ächtung auf mich, lasse mich verachten, verurteilen und beleidigen. Für Morddrohungen bekomme ich Bonuszahlungen. Auf meinem Konto ist mittlerweile ein beachtliches Vermögen zusammengekommen, aber ausgeben kann ich nichts davon, da ich von den meisten Unternehmen mit Boykott belegt bin.
Allzu gerne wäre ich die Anstellung wieder los, aber der Vertrag ist unbefristet und meine Kündigungsfrist beträgt achtundachtzig Jahre. Um früher aufzuhören, müsste ich einen Nachfolger finden, so wie mein Vorgänger Jonas Pfeffersuder es getan hat. Aber so hart ist mein Herz leider nicht.