Auschwitz ist mir egal

Als Kind habe ich mich für den Tod von Millionen Menschen verantwortlich gefühlt. Nicht im übertragenen Sinn, sondern so, wie ein Kind sich eben verantwortlich fühlt. Schuldig. Jaja. Reden Sie nur. Ein Kind weiß ja mit einer Zahl in der Größenordnung gar nichts anzufangen. Und den Tod kann sich so ein Kind nicht vorstellen. Sie vielleicht. Ich konnte mir jahrelang kaum etwas anderes vorstellen. Keinen Gedanken konnte ich denken, der sein Ende anderswo gefunden hätte. Nicht einmal ein Käsebrot konnte in meinem Kopf Gestalt annehmen, ohne dass im Hintergrund Leichenberge zu sehen gewesen wären, mächtig und endlos wie die Nordkette im Inntal. So ein Kind war ich.

Wie groß war meine Erleichterung, als ich in der Schule erfuhr, dass ich gar nicht persönlich und allein für die Lösung der Judenfrage zuständig war. Nur ein winzig kleiner Teil der Schuld der gesamten Bevölkerung lastete auf mir. Nichts weiter hatte ich zu tun, als den Mund aufzumachen, wenn vor meiner Nase eine Schweinerei passierte. Was für eine lächerlich simple Aufgabe!

Doch wie der Mensch so ist, stumpft er mit der Zeit ab, und auch meine Erleichterung wich der Erwartung des Gewohnten. An manchen Tagen erschien mir die einst so mühelos zu bewältigende Anforderung lästig und ermüdend. Ähnlich, wie man an betrunkenen Abenden das Zähneputzen empfindet, und ich erledigte sie mit der gleichen Leidenschaftslosigkeit.

Aber man erledigt es. Andernfalls gehört einem die Schnauze eingeschlagen.

Nein. Natürlich nicht. Das habe ich nicht so gemeint. Sehen Sie mich nicht so an. So macht man das heute. Man sagt etwas und meint zugleich etwas anderes oder das Gegenteil oder nur zwanzig Prozent von dem, was man gesagt hat. Das ist dann überspitzt. Kluge Leute verstehen automatisch das Richtige. Das macht man so lange, bis ein Konzentrationslager eine überspitzte Unterkunft ist. Und schon ist das Leben wieder leicht. Wie eine Gänsedaune, die im Sonnenschein davonfliegt.