Jahreswechsel

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Also, ich werde mir vorerst kein neues Jahr zulegen. Das alte ist noch gut in Schuss und es gibt keinen Grund, es schon zu entsorgen. Im Gegenteil, nachdem ich mir bis in den Mai hinein Blasen darin gelaufen habe, ist es jetzt gerade richtig bequem und ich finde mich endlich darin zurecht. Diese kapitalistische Propaganda, jedermann brauche ständig ein neues Jahr, will ich nicht länger glauben. Wenn man sparsam und pfleglich damit umgeht, hält so ein Jahr ewig. Na ja, ewig vielleicht nicht, aber, sagen wir, bis Juni auf alle Fälle. Ich werde morgen keck mit meinem alten Jahr herumstolzieren,…

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Eichmann zur Miete

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Als mein letzter Untermieter an der Franzosenkrankheit verstarb, verbrachte ich die vorgeschriebene Zeit in Trauer. In sieben Minuten weinte ich sieben Tränen und sprach sieben freundliche Worte in seinem Andenken. Anschließend blieben mir noch dreiundzwanzig Minuten, um die Bude wieder in Schuss zu bekommen, denn das Amt würde mir gleich den nächsten schicken. Gerne wäre ich eine Weile alleine geblieben, aber Vorschriften sind eben Vorschriften, und ein wenig plagte mich auch die Neugier, wer der kommende Gast sein würde. Mein Missfallen hätte nicht größer sein können, als kurz darauf Adolf Eichmann vor meiner Tür stand. Er trug einen zu eng…

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Der Nachruf

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Über die Toten soll man nur Gutes sagen. Das ist allgemein anerkannt, auch wenn es Unfug ist. Als würde jeder Makel mit dem Tod abgewaschen und zurück bliebe nichts als Tugend und gutes Benehmen. Der Nachruf auf Helmut Pelzfuß sollte frei von jeder Schönfärberei sein, denn er war ein großer Mann mit wildem Blick und zausem Bart gewesen, der so etwas nicht nötig hatte. Es hatte kein Thema gegeben, über das er nicht aus dem Stegreif eine halbe Stunde hätte referieren können, und er hatte keine Gelegenheit ausgelassen, genau das zu tun. Zudem war er ein begnadeter Baumeister; landauf landab…

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Das Lied vom Glück

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Philip Pelzfuß steht am Tor und sieht den Menschen nach, die an seinem Haus vorüberziehen. Bepackt mit unterschiedlichen Habseligkeiten stapfen sie durch den Schnee auf dem Weg in eine goldene Zukunft. „Wieviele sind es?“, ruft seine Frau aus der Küche. „Ein paar Hundert oder ein paar Tausend“, antwortet Philip Pelzfuß. „Ich bin doch so schlecht im Schätzen, Elfriede. Sie singen jedenfalls alle.“ „Das höre ich. Es ist ja ohrenbetäubend.“ Elfriede Pelzfuß kommt an den Gartenzaun, ein Geschirrtuch über der Schulter. Sie wischt sich die Hände an ihrer Kittelschürze ab und legt ihrem Mann dann eine auf die Schulter. „Wollen wir…

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Lustig, lustig

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Mich juckt es in den Fingern. Das klingt an sich nicht schlimm. Als hätte ich große Lust, eine bestimmte Sache in Angriff zu nehmen und könne es kaum erwarten, müsse nur noch eben etwas anderes erledigen, das keinen Aufschub duldet. Tatsächlich plagt es mich den ganzen Tag und einen großen Teil der Nacht. Mein sehnlichster Wunsch ist eine dritte Hand mit Fingern, die nicht von dem Unheil befallen sind und die geplagten kratzen können. Aber die bekomme ich nicht. „Das zahlt die Kasse auf keinen Fall“, meint mein Hausarzt, ein dicker, älterer Herr mit weißem Bart, der in der Weihnachtszeit…

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Wiedersehen mit McMurphy

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„Das Problem mit euch Empathen ist ja nicht, dass ihr besonders viel fühlen würdet“, sagte McMurphy und spuckte in mein Weinglas. Ich betrachtete die gelblich-weißen Bläschen, die auf der Oberfläche des Weins langsame Kreise zogen. McMurphy räusperte sich und verschloss währenddessen mit Daumen und Zeigefinger beide Nasenlöcher. „Weißt du, was das Problem mit euch Empathen ist? Soll ich es dir sagen?“, fuhr er fort. Da er seine Finger nicht rechtzeitig von der Nase genommen hatte, klang seine Stimme bei den ersten beiden Wörtern albern und ich gluckste. McMurphy schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und die Spuckebläschen zitterten….

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Vorbeigeredet

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Erinnerst du dich noch an die Geschichte mit der Sprechstundenhilfe aus Puerto Rico? Ich weiß nicht. Das ist alles so lange her. Kam die nicht aus Costa Rica und war Zahntechnikerin? Ist ja auch egal. Ich bin mir zu hundert Prozent sicher, dass sie aus Puerto Rico war. Wie kann dir das egal sein? Schließlich ist am Ende Bratwurst-Rainer gestorben. Hieß der nicht Currywurst-Klemens? Das war doch der Typ, der seinen Hund aus der Umkleidekabine vom Freibad hatte. So ein Cocker-Spaniel war das. Toffy. Das arme Tier war dort angebunden und Currywurst-Klemens hat ihn gerettet. Und der ist tot? Das…

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Der Aal

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„Bei allem Respekt, meine Damen und Herren, darf ich Sie doch darauf aufmerksam machen, dass, auch wenn es uns manche anders glauben machen möchten, die ganze Angelegenheit lediglich auf Vermutungen beruht, die, wie wir sicherlich bald alle sehen werden, sich als Missverständnisse herausstellen, sobald alles rückhaltlos aufgeklärt ist, wofür ich, wie jeder, der mich kennt, weiß, ohne Kompromisse Sorge tragen werde, darauf können Sie sich, wie gewohnt, verlassen. Sollte es in der Sache zu Ungereimtheiten gekommen sein, werde ich, auch wenn manche das Gegenteil behaupten, nicht eher ruhen, bis ich herausgefunden habe, wer dafür die Verantwortung trägt, denn dafür muss…

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Die Wehklagerin

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„Kein Schwanz ist so hart wie das Leben“, pflegte meine Großmutter zu sagen, wenn Trost für uns Kinder vonnöten war. Ich glaubte ihr nicht, denn etwas Härteres als Onkel Manfreds Rute, die er mir nachts zwischen die Kiefer zwängte, konnte ich mir lange Zeit nicht vorstellen. Aber ich war ja noch jung und wusste nicht Bescheid. Trotz dieser unsanften Behandlung in zartem Alter, bin ich zeitlebens eine Mimose geblieben. Was andere Leute als lässliche Unannehmlichkeit abschütteln, wirft mich für Wochen nieder. Ich hüte meinen Schmerz wie einen Schatz. Ein überflüssiges Unterfangen, denn wer würde ihn mir schon nehmen wollen? Die…

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Pechmarie

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Ich habe es satt, mein Gesicht jeden Tag im Spiegel älter und grauer werden zu sehen. Deshalb habe ich ihn heute zerschlagen. Das bringt sieben Jahre Pech, heißt es. Darauf freue ich mich. Denn das Glück habe ich ebenfalls satt. Ein launisches Ding, das ohnehin nie da ist, wenn man es nötig hätte. Wenn ich es mir aussuchen könnte, hätte ich lieber sieben Jahre lang Bitumen. Das klingt gemütlicher, und auf Gemütlichkeit lege ich Wert. Aber ich will keine Ansprüche stellen. Ich bin gespannt, wer mir das Pech bringt. Womöglich gibt es einen extra Pechboten. Ob ich das ganze Pech…

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