Kurzgeschichten

Vom Handwerk

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Schreiben. Einfach mal über das Schreiben schreiben. Das lesen die Leute gern, heißt es. So fühlen die Leute sich dem Schreibenden nah, heißt es. Die Leute lesen gern vom Bergbau Sprache – vom Schürfen, vom Graben nach Geschichten: Ich reite auf einem wilden Esel, ich halte mich an seinen Haaren, seiner Mähne fest, damit ich nicht falle, damit ich unterwegs nicht abgeworfen werde. Wenn der Esel eine Pause macht, wenn er innehält, um zu grasen, um zu trinken, schreibe ich ‚Meine Erlebnisse von Unterwegs‘ nieder. Wenn es wirklich ein Buch wird, ein Buch, das Leute lesen, umso besser. Ich schreibe…

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Impulswahl

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„Melanchthon, Melanchthon! Wenn du so weiter machst, wird es dir noch übel ergehen. Wer die Mütze am Sims liegenlässt, ist für Erquicklichkeiten nicht bereit und muss irreale Werte am Zahlenstrahl einzeichnen. Das ist keine Strafe, sondern die natürlich gewachsene Frucht der Tat. Schmeckt sie dir nicht, so bedenke hinkünftig dein Handeln zur rechten Zeit, anstatt jetzt, wo es zu spät ist, mit Geheul und Zähneknirschen dein Leben zu vertrödeln. Das Gespräch wird zu Schulungszwecken aufgezeichnet. Wenn du damit nicht einverstanden bist, drücke bitte die Vierhundertzwölf.“ Voller Unbehagen starrte Spartakus Pelzfuß auf die Wählscheibe seines Telefons. Einen Versuch war es allemal…

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Die Suche hat ein Ende

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Was das da in der Ecke ist? Nein, das ist kein Krug. Das ist der Heilige Gral. Ja, der echte und ja, den habe ich schon lange. Brauchen? Nein, ich brauche ihn eigentlich nicht, den lagern drei Weise zur sicheren Aufbewahrung in meiner Wohnung. Eine Zeitlang habe ich die Köpfe von Schnittblumen darin schwimmen lassen, aber an dem Anblick habe ich mittlerweile alle Freude verloren. Ich habe schon überlegt, ob ich ätherische Öle oder duftende Essenzen reinschütten soll, auch, aber nicht nur wegen des Gestanks, der dieser Tage von draußen durch die Fenster dringt. Doch dann stellte ich zu meinem…

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Kein Attentat

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Mir gegenüber sitzt ein nervöser junger Mann. Ein dauerndes Wippen mit dem Fuß lässt den Pelz seiner Kapuze erzittern. So wirkt er wie ein Wildtier, das im Wald Witterung aufnimmt. Hätte er bewegliche Ohren, wären sie auf eine Gefahr in der Ferne gerichtet. Ich würde es auch riechen können, käme nicht von etwas weiter hinten eine Wolke Rasierwasserduft geflogen, die einen undurchdringlichen Belag in meiner Nase bildet. Hinter seiner Anspannung und den wie Billardkugeln umherschießenden Augen schläft eine Müdigkeit, wie sie sich nur entwickeln kann, wenn einer jahrelang zu wenig schläft. „Leg dich hin! Ruh‘ dich ein wenig aus!“, möchte…

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Santa Cassilda

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In der Mitte meines Zimmers hat sich ein Loch aufgetan – ein Loch, bestimmt 20 Meter tief. Aus ihm dringen Gefahr verheißende Geräusche, gestern Abend hörte ich eine Frau weinen. Ich rief in das Loch und bot meine Hilfe an, doch die Frau ließ sich durch meine Worte nicht beruhigen. Vielleicht hat sie mich auch nicht verstanden, was mich nicht wundern würde, denn um sie herum wurde geschrien, geschossen, gehupt, geknallt und gehämmert. Die Frau hat möglicherweise Hunger, urteilte ich und eilte in die Küche. Irgendwo war doch bestimmt noch etwas Essbares. In einer Ecke des Kühlschranks fand sich eine…

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Die Erbschaft

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Von meinem Vater habe ich einen Lustschutzbunker geerbt. Das klingt drolliger als es ist. Er starb mit Schaum vor dem Mund, was zu ihm nicht passte, zu den Umständen hingegen schon. Zeitlebens war ihm der Geifer fremd geblieben. Genützt hat es ihm nichts – obwohl – wie könnte ich beurteilen, woraus die Toten Nutzen ziehen? Sei es drum, der Bunker bietet mir Schutz vor ungünstiger Witterung, Bitternis und den Anwürfen der Menschheit. Hat die nichts Wichtigeres zu tun, als mir Gemeinheiten anzutun? Ich nehme das Allgemeine persönlich, so einfach ist das. Der Bunker zeigt mir durch eine Glasscheibe einen kleinen…

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Étude

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Ich vermute, und es ist nur eine ganz unwissenschaftliche Ahnung, die ich manchmal in einsamen Stunden für mich hege, dass meine Vorgesetzte eine Schwäche für mich hat und pflegt. Sagen wir doch, wie es sich mir darstellt: Sie himmelt mich an. Wenn ich, über mein Mikroskop gebeugt, meiner Arbeit nachgehe und ihren Atem in meinem Nacken spüre, pimmelt es in meiner Hose. Das ist meist ein deutlicher und beweiskräftiger Indikator. Sie lässt mich gerne länger arbeiten. Die Wissenschaft verlangt Opfer, sagt sie mit Blick auf die Ausbeulung unter meinem knappen Kittel. Unter der Linse meines Mikroskops wimmelt es: Pantoffel- und…

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Gewissen

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Durch den verschneiten Wald läuft ein Rehlein. Es ist noch klein, mit weißen Tupfen auf dem Rücken. Aber nicht mehr so klein, dass es nicht zurecht käme. Es weicht den Schneeflocken aus. Das Rehlein ist auf der Suche nach einem Gefährten. Es wünscht sich einen Dachs. Ein grummelnder Dachs mit schlechter Laune und tiefen Gedanken soll es sein. Bald findet es einen Bau und klopft mit dem Paarhuf an einen Ast. Der Dachs guckt durch den Türspion. Rehe mag er nicht. Da es aber schon spät ist und bald die Jägerin auftauchen wird, öffnet er und lässt das Rehlein ein….

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Studie über Kurzschlüsse & Kernschüsse der Seele oder: Das Wandellose Licht wob einen Schleier

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Prolog: Sagt er zu ihr: „Iss mal sinnlich ’ne Tomate!“ „Wie ist es denn so?“, fragt sie ihn und lächelt verführerisch. „Jeden Tag ein bisschen besser. Jeden Tag ein bisschen mehr.“ Sprachkörper 1: Das Weben hat seine Aktualität in dem Gewebten Stereotyp die Antwort, stereotyp das Gefühl. Erst einmal neue Rituale schaffen; Automatismen müssen greifen. Und dann wieder Zeiten – manchmal Minuten, manchmal Stunden – in denen sich das Innere Ich in seine Einzelstimmen zerfasert. Wohlmeinende, hofft man inständig, denn sie sind einem doch recht nahe. Sie zu verlachen würde nicht helfen, wäre wohl als Zeichen an die Außenwelt, als…

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Zahlen

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Frieda Pelzfuß mag Zahlen. Zweihundertundacht zum Beispiel. Man kann sie mit Ziffern hinschreiben oder mit Buchstaben. Je nachdem wohnt eine unterschiedliche Logik in ihnen; oder, besser gesagt, die Logiken wohnen gemeinsam darin und schauen je nachdem zum Fenster heraus. An und für sich ist Frau Pelzfuß keine Freundin der Logik. Sie schätzt das Zwingende nicht. Wer wird schon gerne gezwungen? Manche, ja, die richten sich das so ein, dass sie den lieben langen Tag nicht überlegen müssen, was als nächstes zu tun ist, weil ein Zwang auf den anderen folgt. Das hat auch etwas für sich, erspart es einem doch…

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