Das Fass

Beneidenswert, diese Leute, die vor nichts Angst haben. Der Tod, die Kellerasseln unter dem Blumentopf, die Aussicht auf Gehirnerweichung, ein Brief vom Amt oder Finsterlinge, die nachts in Hauseingängen herumlungern – nichts vermag sie zu schrecken. Sie plaudern ohne Schwierigkeiten mit Fremden im Lokal und springen an einem Gummiband vom Schiefen Turm von Pisa.

Meine Base Micheline ist so eine. Bereits als Kind bewunderte ich ihre Unerschrockenheit, wenn sie dem Nachbarspudel lachend ihre Spielsachen aus den grausigen Fängen entwand oder sich den Fußbällen entgegenwarf, die der dicke Friedhelm aus dem Nachbarhaus mit der ganzen Wut seiner gehänselten Seele auf uns abfeuerte.

So ging das ihr Leben lang weiter, sie wuchs zu einer Frau voller Anmut heran und war der Alptraum von Abteilungsleitern und Fahrkartenkontrolleuren.

Bei meinem letzten Besuch fand ich sie zu einer bedauernswerten Kugel zusammengerollt auf ihrem Sofa vor. Die Fensterläden waren geschlossen und die Türen mit Ketten versperrt. Traniger Muff zog durch die Räume, müde von der vergeblichen Suche nach einem wenigstens gekippten Fenster, durch das er in die Freiheit entweichen können würde.

Ich erfuhr, dass Michelines Dasein keineswegs so furchtlos gewesen war, wie es sich mir dargestellt hatte. Von Kindesbeinen an hatte sie ihr Vater angehalten, alle Ängste in einem Butterfässchen aufzubewahren. Doch hatte er versäumt, ihr ein zweites oder womöglich drittes mitzugeben. Mit den Jahren füllte sich das Fässchen, und die Dauben begannen zu knarren und zu knirschen, bis es irgendwann mit einem Donnerschlag zerbrach. Mit Fauchen und Geheul umhüllte das gesammelte Grausen meine Base, kroch ihr durch Ohren, Mund und Augen.

Ich fackelte nicht lange, nahm einen Küfer zum Mann und ließ ihn zur Hochzeit gleich vier Fässer anfertigen. Und das, obwohl ich nichts mehr fürchte als die Ehe.