Literarisches

Menschliches, allzu Menschliches

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Betrachtet man vergangene Jahre mit ausreichendem Abstand, wirken sie harmlos, geradezu heiter. Sicher, über manches in der Vergangenheit mag man sich wundern, womöglich ärgern; vieles betrachtet man mit dem Unwillen eines Mannes, der morgens nicht aus dem Bett will, aber sich durch Aufgaben, wie beispielsweise dem Dienst an der Allgemeinheit, dazu gezwungen sieht. Eines schönen Tages, ich war noch nicht ganz dem Grundschulalter entwachsen, bekam ich Besuch von einem Käuzchen. Nicht, dass ich damals hätte mit Bestimmtheit sagen können, dass es sich bei meinem gefiederten Besucher um ein Käuzchen handelte; Vogelkunde oder Typologisierung der Umwelt waren mir fremd. Sagen wir,…

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Klauenseuche und Politik

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James Scheuß erwacht immer einen Augenblick vor dem Knistern des Deckenlautsprechers. Eine Angewohnheit, die er sich schon lange zu eigen gemacht hat. Ein Widerstand, eine Freiheit, vom Großen Ganzen unbemerkt, denn er stellt sich schlafend, um dann, im Moment des elektronisch verstärkten Geräuschs, mit einem gehetzten Schrei hochzufahren. „Habe ich mich genug angestrengt für das Große Ganze? Das ist die Frage, die wir uns alle stellen!“, dröhnt die Stimme mit unerbittlicher Freundlichkeit auf James herunter. Noch nie im Leben hat er sich diese Frage gestellt, hat es auch nicht vor. Ausgesprochen, ja, das wohl, aber lediglich mit verstellter Stimme. Es…

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Die Visite

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„Hier müssen Sie jetzt aufpassen – hier stößt man sich ganz leicht den Kopf.“ Veit Lochner, ein Mann aus der Abteilung Öffentlichkeitspflege und Kontaktarbeit, bückt sich und betritt das Kellergewölbe vor Rudolf-David Krenz, neugekürtem Vorstandsmitglied des Kontrollausschusses. „Hier ist noch vieles aus dem Stegreif gefertigt und noch sind nicht all unsere Pläne umgesetzt.“ Die beiden Männer steigen tiefer und tiefer die Treppe hinab; Moder lässt die Stufen schmatzen. „Hier ist es glitschig, ich bitte Sie, passen Sie auf! Sie wären nicht der Erste, der hier ausrutscht. Nicht einmal der Erste heute.“ Das Licht aus Veit Lochners fingerdicker Stablampe wird von…

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Schuld und Sühne zur besten Sendezeit

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Ein beängstigendes Klacken taucht den Raum in weißes Licht. Wüsste Frau Mittwisser es nicht besser, würde sie mit der Erscheinung eines Engels rechnen. Sie hält sich das Familienalbum vors Gesicht, um die Augen vor dem Gleißen zu schützen. Neben ihr sitzt ein Herr mit pfeifendem Atem. Er reckt den fleischigen Hals, damit er einen Blick in ihr Album werfen kann. Darin sieht man den Großvater mit Strickjacke und Scheitel in der Küche auf und ab gehen. Ungehalten blinzelt er ins helle Licht, das durch die aufgeklappte Seite ins Album fällt. „Meine Großeltern hatten sogar für einige Wochen einen Juden auf…

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Goodbye, Dario Fo

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Und so fand sich Dario Fo eines Morgens nach dem Aufwachen über und über von rosa Punkten in unterschiedlichen Größen bedeckt. „Unschön“, sagte Dario Fo mit belegter Stimme, bevor ihn der morgendliche Hustenanfall durchschüttelte. Die Punkte hoben sich deutlich von seiner blassen Haut ab. Vielleicht ein verspätete Kinderkrankheit, dachte er. Vielleicht, und bei diesem Gedanken stockte ihm der Atem, vielleicht sogar die Pest. Zwar wusste Dario Fo nicht mit letzter Sicherheit, ob rosa Punkte wirklich Anzeichen der Pest sind, aber er glaubte sich erinnern zu können, irgendwo irgendwann etwas Dementsprechendes gelesen zu haben. „Also die Pest“, murmelte er nach der…

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Morgen kein Tag

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Obwohl man ständig nach Gerechtigkeit ruft, klagt man über den Tod. In seinem Angesicht sind alle von gleicher Geltung. Pflanze, Tier, Kind, Greis, Mörder und Mönch: Er liebt sie alle. Mag sein, den einen ereilt er, bei der nächsten lässt er sich Zeit. Nimmt jeden Tag nur ein Schlückchen. Wie unangenehm da die Alltäglichkeit wird. Es soll doch jeder Augenblick einzigartig sein! Wer möchte sich schon an die letzten Worte „Bring mir einen Sahnekefir mit!“ erinnern? Oder schlimmer noch – sie ausgesprochen haben. Und hinterher erst. Man hätte unbedingt noch dies sagen wollen, jenes aus der Welt schaffen oder in…

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Alltägliche Abstraktion der Ichsucht

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Ich fange frisch an, ich gehe voran, weil alle hinter mir zu langsam sind. Wer ruft in den Wald? Das himmlische Kind. Es schallt. Wer ruft, sobald ein Licht sich seinen Weg durch Laubgewimmel bricht: „Ich bin der Herr, ich bin der Weg und Wille. Mein Wille geschehe.“ Wenn ich den Sachverhalt so drehe, kommt er mir ein wenig komisch vor. Und alle Kinder fragen: „Wer mag der Herr wohl sein?“ Mein Wille geschehe – geschehe, was wolle, aus vollen Wolken schöpfen, öfter mal ein Zicklein köpfen, öfter mal nach links und nach dem Rechten sehen (noch immer soll nur…

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Kopfbahnhof

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Der schönste Mann der Welt spaziert mit mir durch die Nacht. Im Schein der Gaslaternen verliert die Welt jeden Makel. Viel Lachen und Küssen, die Gedanken fliegen zwischen den Köpfen hin und her, als seien wir die Graphitelektroden einer Kohlenbogenlampe. Da werde ich durchgeschüttelt, wie bei einem Erdbeben. Der Geruch von Spiritus steigt mir in die Nase. Ein Körper ist neben mir auf das Sitzbänkchen der Mini-Dampfeisenbahn gefallen, ein Glöcklein bimmelt und die Rundfahrt durch den Vergnügungspark beginnt. Mein Geist ist auf Wanderschaft gegangen. Das passiert mir häufig. Es entgratet die Kanten der Wirklichkeit. Der Mann neben mir atmet schwer….

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Lesung am 11. Oktober 2016

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Daniel Boente liest aus seinem Roman „Der schreckliche Feuerbach“. Am Dienstag, den 11. Oktober 2016 um 19.00 Uhr. In der Buchhandlung Frick International zu Wien. Schulerstraße 1 bis 3, A-1010 Wien Homepage: http://www.buchhandlung-frick.at/frick_international.php

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Tränende Herzen

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Frau 1: Läuft. Momentan. Läuft richtig gut. Frau 2: Was ist mit deinem Gesicht? (betroffen) Was ist denn passiert? Frau 1: Ach, das ist nichts. Ein kleines Unglück nur, ein Fehltritt. Weiter nichts. Möchtest du eine Schokolinse? Frau 2: Ich glaube, das musst du behandeln lassen. Frau 1: Habe ich. Habe ich doch schon. Frau 2: Und? Was sagt der Arzt? Frau 1: Das war kein Arzt, das war die Blumenhändlerin. Die hat mir Tränende Herzen gegeben und die sollte ich mir am Vormittag auf die Wunde tun. Da habe ich mich in den Park gelegt und mich gesund geruht….

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