… außer man tut es

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Ich lasse seit neuestem meinen inneren Schweinehund die Texte schreiben, die mir das Leben diktiert. Der sitzt dann statt meiner am Schreibtisch, während ich mich um andere Dinge kümmere. Ab und zu schaue ich bei ihm vorbei, frage höflich, ob ich ihm zu seinem Glück irgendwas reichen könnte, das Wasser etwa oder eine Handvoll getrockneter Linsen, und wenn er verneint, was er eigentlich immer tut, dann lasse ich ihn in Ruhe weiterarbeiten. Wenn er jedoch durstig ist oder einem kleinen Snack nicht abgeneigt, dann kommen wir wie heute ins Gespräch. „Worum geht’s denn?“, fragte ich unverbindlich. Der Schweinehund spülte die…

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Krankenbesuch

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Zu Gast beim Elefanten, beim Verwandten, dem grauen Vorstadtdilettanten, dir Onkel in lebendem Angedenken will ich etwas schenken, mich bedanken, beim Onkel, beim Kranken. Das Teppichmesser singt, von Ferne klingt ein Lied wie schon zu Kinderzeiten. Du widersprichst, ich halte einen Finger vor die Lippen – wir wollen nicht streiten: Nicht am erdachten Horizont. Hohles Pfeifen, und am Himmel weiße Streifen, wir greifen nach ihnen, wieder einmal nach Wolken, nach Zahlen, nach Wahrscheinlichkeiten, ich schlucke angesichts deines Zustands den schalen Geschmack hinunter. Werde wieder munter, rufe ich beim Gang nach draußen dir noch zu. Du hebst die Daumen, wie zur…

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Auf dem Jahrmarkt der Einsamkeiten

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GEWINNE * GEWINNE * GEWINNE Ich kann Ihnen gar nicht adäquat vermitteln, wie glücklich ich bin, Sie hier und heute begrüßen zu können. Hier, an diesem historisch bedeutenden Ort – heute, zu dieser festlichen Stunde. Waren Sie bereits bei uns in der Praxis oder begrüßen wir Sie zum ersten Mal? Das Hier und Heute, das Hier und Jetzt, das Hic und auch das Nunc. Geschwister wie Prinzipien wie Dur und Moll, wie Ex und Hopp. Komme, wer wolle, wer hat noch nicht, wer will noch mal, komm’se rein, komm’se näher, komm’se ran! GEWINNE * GEWINNE * Gewinnen Sie, wenn andere…

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Späte Polemik gegen Nobelpreisträger G. „Ich habe das immer als Makel empfunden“ G.

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Gras gefällig? Grass, die kaschubische Nachtigall, lehnt, auf die Pfeife im eigenen Mund weisend, das Angebot ab. Und vergisst darüber wieder einmal, einstige Zugehörigkeiten und die geleisteten Schwüre zu erwähnen. „Wer will mir das Wasser, den Kelch, den bis zum Rand mit Wasser gefüllten Kelch reichen?“ Scheint seine Haltung auszudrücken. „Bleibt mir bloß weg mit eurem Zeug, ich trällere nicht, ich trapse.“ Aber die Ernte, die Trommel, aber die Wörter! Aber die Worte und ihre Bedeutung, aber die Trommel. Mit zuckenden Waden. Und Zucker, wie Baisers. Mit Aalen und Köpfen – das ist Gold, literarisches Gold, dynamitpreisverdächtig. Wirklich keinen Zug…

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Der Nachruf

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Kaum-Ich: Hast du den Nachruf schon geschrieben? Nicht-Ich: Der liegt seit gut fünf Jahren druckfertig in meiner Schublade und wartet nur auf seine Veröffentlichung. Kaum-Ich: Dann kann es ja losgehen. Beziehungsweise enden. Den Anfang vom Ende haben wir bereits hinter uns gelassen. Und durchqueren gerade den Schluss der Mitte vom Ende. Nicht-Ich: Es scheint fast, als wolle der HErr ihn nicht bei sich haben. Kaum-Ich: Ich glaube nicht, dass der HErr nach traditioneller Lesart viel mit ihm zu tun haben wird. Nicht-Ich: Dann ist es vielleicht der Herr der höllischen Wehklagen, der es durchaus noch abwarten kann, ihn an seiner…

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Der Stift

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Es gibt ein Problem mit diesem Stift. Er schreibt, was er will. Das war zwar das Verkaufsargument, als ich ihn kaufte – er war nicht gerade billig – und anschließend einigermaßen stolz nach Hause trug, aber ich hatte dem Verkäufer im Grunde misstraut, denn zu oft war ich in ähnlichen Situationen bereits enttäuscht worden. Ich habe in meiner Wohnung mehrere Kisten mit Dingen, die nicht das tun, was ich mir zum Zeitpunkt des Erwerbs von ihnen erhofft hatte. Aber dieser Stift funktioniert wirklich phänomenal. Und darin liegt das Problem: Wie kann ich Texte, die er quasi ohne mein Zutun verfasst,…

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Das ‚alte Normal‘

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Erzählt mir nichts vom ‚alten Normal‘. Ich will nichts hören über das ‚alte Normal‘. Stattdessen will ich von mir erzählen, denn ich warte schon so lange, warte, dass es endlich losgeht. „Du hast wohl den Schuss nicht gehört“, sagt man mir, doch das stimmt bekanntlich nicht, habe ich doch bereits sehr früh im Leben den Schuss gehört, ja, hören müssen, der auf mich abgefeuert worden war. Zuvor waren mir rechts drei Kinderrippen gebrochen worden – niemand weiß mehr, wie – oder ich lag mit mir selbst zugefügten Vergiftungen im Krankenhaus; meine schweren Verbrennungen – ein Unglück, wird sich bis heute…

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Die Feder ist mein Gewehr

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Im Voraus sollte beachtet werden, dass an den Tagen, die dem dichterischen Lebenswerk gewidmet sind, also an allen Werktagen, die Farbe Rot für Kleidung absolut tabu ist. Ferner sollten Räume gemieden werden, in denen Vögel gezüchtet werden bzw. wurden. Vögel, und das wird jeder Ornithologe bestätigen, sind oft Boten für Dämonen und böse Geister. Ich finde es in diesem Zusammenhang durchaus erwähnenswert, welches Amüsement mich überkommt, wenn ich an die zahllosen Passanten denken muss, die an harmlos anmutenden Vogelgruppierungen vorbei schlendern, womöglich einen Moment innehalten und sich am Anblick erfreuen, womöglich die pickenden Gesellen zum Anlass nehmen, um über die…

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Innen wie Außen

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Es herrscht herbstliche Schwüle. Auf Polstern gebettet, auf Rosenblättern, unter Hypnose dem Dämon in die Augen geblickt: Trau, schau, wem! Du sagst: „Als Kind hat man keine Alternative zum Vertrauen, ist man doch auf alles und jeden angewiesen. Jedes noch so furchtbare Lächeln ein Anker und fruchtbarer Acker, jedes Lächeln eine Wurzel. Jeder Halm ein Mast, jedes Blatt gehisstes Segel. Der Wind rauscht über wogende Ähren – der Wind ist immer Singular.“ Wir gleiten durch Glockengeläut, novemberliche Spatzenaktivität, auf der Suche nach Wasser und Krumen, nach Schatten. Du legst eine kühle Hand auf meine pochende Stirn, schirmst mir die Augen…

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Die Bibelleserin

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Die Bibelleserin liest Verse und bewegt dazu im Takt die Lippen. Die Fältchen um die Oberlippe wippen und zittern erregt vom Wort; die Leserin nickt und atmet schwer. Aus den Höhen des heiteren Himmels springt sie mit einem Mal auf, fast hätte sie vergessen auszusteigen, hastig schließt sie das Buch, den Reißverschluss des ledernen Schutzumschlags. Die U-Bahn hält mit quietschenden, mit fauchenden Bremsen; die Bibelleserin ist allergisch gegen Lautstärke und lässt in größter Anspannung die Kiefermuskeln spielen. „Wer mag der Herr wohl von dieser U-Bahn sein“, ruft ihr ein Flegel hinterher, an der Leserin perlt es ab.

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