Schuld und Seuche oder: der verlorene Sohn

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Roman Pelzfuß wurde im zweiten Seuchenjahr geboren. Da dachte man noch, alles würde vorüber gehen, wenn man nur brav wäre und aufeinander Acht gäbe. Oder man lief brüllend durch die Straßen, weil man ein Elend mit Gesicht und nachvollziehbaren Zielen wollte. Man wünschte sich das Früher, aber zu früh sollte es nicht sein, denn da war alles noch schlimmer als heute. Die Brüller wurden von den Wasserwerfern fortgespült und die Folgsamen versteckten sich zu Hause hinter ihren Vorräten. Zurück blieb eine dumpfe Panik, die allen gleichermaßen in die Knochen kroch und darüber versprühten die Jumbojets einen feinen Regen aus Schuldzuweisungen….

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Sicher ist sicher

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Nichts ist so grässlich wie der Klang einer Oboe im Nebel. Vielleicht meine ich auch ein Fagott. Dieses kläglich hupende Ding jedenfalls. Einem vermummten Kalb gleich, das seine Mutter nicht mehr findet, selten zu hören, denn die Hubschrauber brüllen darüber hinweg. Die zerschneiden die Nacht mit ihren Suchscheinwerfern, doch es gibt nichts Besonderes zu entdecken. Aber wer weiß, man muss dennoch nachsehen. Zwischen den gleißenden Dreiecken schreiten schneidig meine Füße dahin, während ich selber mich Zuhause verstecke. Ich bewache meine Gedanken, denn ohne Aufsicht wachsen sie sich schnell zu arglistigen Plänen aus, zu deren Ausführung es mir letztendlich an Verwegenheit…

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Der Unterschied

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Wie man sich dreht, so wendet man sich. Da geht es mir nicht anders als euch. Das kann also nicht der Unterschied sein. Im Großen und Ganzen sehe ich euch ähnlich. Beine, Arme, Gesicht, Bauch – alles da. Ich habe Hunger, Durst und schlechte Angewohnheiten, bekomme kalte Füße und morgens schmeckt es schal in meinem Mund. Beim Küssen schlägt das Herz wie die Hufe eines Wildpferds im Galopp. Ich langweile mich bei mittelklassigen Fernsehkrimis und auf dem Flur der Behörde rede ich beruhigend auf mich ein, als sei ich ein Ferkel auf dem Weg zum Metzger. Obwohl auf die niemand…

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In der Zwischenzeit

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Die Vergangenheit und die Zukunft sind Stühle und ich sitze dazwischen. Das ist nicht bequem, aber so bin ich eben gemacht. Ich rutsche ein wenig hin und her, um den Abstand zwischen den Sitzgelegenheiten zu vergrößern, um irgendwann eine Hängematte dazwischen aufhängen zu können. Man braucht Ziele im Leben. Eine Hängematte macht doppelt so viel Arbeit wie ein Galgen. Den Galgenstrick befestigt man einfach mit einem ordentlichen Knoten an der Vergangenheit, da wird nichts wackeln oder in sich zusammenfallen. Die Zukunft dagegen: Auf dünnen Beinchen steht sie da, wie ein neugeborenes Pferd und ebenso bereit, einen Satz hierhin oder dorthin…

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Allmächtiges Schweigen

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Unter all den Warnungen, die man mir als Kind aussprach, machte mir die vor dem Schlendrian den meisten Eindruck. Man müsse sich hüten, sonst zöge er bei einem ein. Da damals noch der Herr mein Hirte war, schien es mir ratsam, eine so wichtige Aufgabe jemandem zu überlassen, der sich mit sowas auskannte. Schafe kannte ich nur aus dem Bilderbuch und vom Ponyhof – ich entstamme einer Familie von Schneidern und Ingenieuren, aufs Hüten verstand sich da niemand. So blieb ich vom Schlendrian verschont, bis ich eines Tages vom Glauben abfiel. Das passiert vielen, wenn das Leben etwas länger dauert….

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Der Geschmack von Suppe

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Unter Menschen ist der Glaube verbreitet, früher seien die Dinge besser gewesen. Ich zum Beispiel erinnere mich deutlich, wie angenehm aufregend das Geräusch eines überfüllten Freibads in meiner Kindheit war. Die heutigen Freibäder klingen schrill und mir schmerzen die Ohren bereits, wenn ich mit dem Auto daran vorbei fahre. Man konnte Rollschuhlaufen, ohne zu schwitzen und schwitzte man doch, so stank man wenigstens nicht. Wollte man irgendwo dazugehören, genügte es meist, eine Mutprobe zu bestehen, die im Allgemeinen nicht sonderlich viel Waghalsigkeit erforderte: Beim alten Heyer läuten und sagen, man habe sich verklingelt oder dem Landesvater einen Zettel in den…

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Die zweite Wahl

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Ich weiß nicht, welcher Teufel mich geritten hat, als ich zugestimmt habe, Eukleides auf die Reise mitzunehmen. Ich konnte ihn schon in der Schule nicht leiden. Aber er meinte, er verstünde sich aufs Kartenlesen, und wir haben einen ähnlichen Musikgeschmack. „Eine Strecke ist eine gerade Linie, die auf kürzestem Wege zwei Punkte verbindet“, sagte er nach einer langgezogenen Linkskurve. Ich hätte auf seinen Unterton achten sollen, dann wäre mir Einiges an Unheil erspart geblieben. Der Straßenbelag wich bräunlichem Kies, der von schlammigen Gräben durchzogen war, und Gerümpel ragte drohend links und rechts des Weges auf, doch Eukleides beharrte weiterhin darauf,…

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Das schwere Erbe

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Mein Vater war, wenn man den Historikern und Wissenschaftlern glauben mag, nicht nur klug, sondern nachgerade brillant. Und – natürlich mag ich ihnen glauben, wer würde das nicht, wer wäre nicht gern Spross eines großen Geistes? Denn, obwohl es sich weder zweifelsfrei beweisen lässt, noch mit der politischen Mode im Einklang steht, geht man davon aus, selbst Gedanken zu haben, die außerordentlich sind. Es heißt nicht umsonst, der Apfel fiele nicht weit vom Stamm. Andererseits mag niemand Fallobst, denn es haftet ihm der Ruch des Verfalls an, braune Stellen und Wurmbefall werden ihm unterstellt. Die Leute wollen frische Früchte, möglichst…

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Kein guter Rat

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Wer die Leute verstehen will, muss sich ihre Schuhe ansehen. Das hat mir meine Großmutter von klein auf eingebläut. Sie selbst trug stets Kellnerinnensandalen, außer bei ihrer Beerdigung. Da zwängte man ihre schon steifen Zehen in ein Paar dunkelblaue Wildlederpumps mit einer prachtvollen Silberschnalle. Ich hörte nie auf ihre Ratschläge, aber diesen beherzige ich bis heute, und dass, obwohl sich bald herausstellte, dass es sich dabei um einen Irrtum handelte. So ist der Mensch eben. Was mein eigenes Schuhwerk angeht, bin ich nachlässig. Ob die Fußbekleidung der Jahreszeit oder dem Anlass angemessen ist, welche Farbe sie hat, oder ob sie…

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Klassentreffen

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Zu den vielen Dingen, die man im Leben tut, obwohl man bereits vorher weiß, dass sie einem keine Freude bereiten werden, gehört der Besuch eines Klassentreffens. Beim Betreten des Lokals schlägt Hertha Pelzfuß der Geruch von alten Tapeten entgegen und ein Frauenlachen aus dem Hinterzimmer. Das muss die Schneller sein. Das Lachen fährt Hertha wie eine heiße Nadel in die Ohren, breitet sich in Wellen in ihrem Körper aus, und sie weiß, es wird nicht aufhören, ehe der Höchtlmeier mitlacht. Hertha Pelzfuß hängt ihren Mantel an die Garderobe und setzt sich an einen der wenigen freien Plätze am Tisch. Die…

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