Rede des Großen Biestes an die Vereinten Nationen

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„Ich will, dass alles Egozentrische in oranges Neongrell getränkt erscheint. Damit ihr seht, in welchem Zustand die Welt ist. Die Augen würden euch aus dem Kopf fallen. So zahlreich, dass man auf den Gehwegen knöcheltief in Augäpfeln würde waten müssen, wollte man sich ein Laib Brot aus der Bäckerei holen. Da würde man lieber online bestellen. Das geht aber nicht, weil man augenlos blind voller Verzweiflung durch die Welt taumelt und wieder und wieder der Länge nach auf dem Augapfelteppich hinschlägt. Insgesamt also eine deutliche Verbesserung zum gegenwärtigen Zustand der Welt. Sie sehen! Mein Problem ist, dass nichts von alledem…

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Im falschen Licht

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Wer die Bahngleise entlang geht, vorbei am Krötenteich und den Birken, gelangt bei Regenwetter an einen Parkplatz. Der gehört zu einem Billigmöbelhaus. Darin wohne ich, zusammen mit dem Hundekönig Attila. Während der Geschäftszeiten treiben wir uns zwischen den Lagerregalen herum oder stehlen Hackfleischklöße von Tellern im Schnellrestaurant. Abends lümmeln wir auf den Sitzgarnituren und starren glotzäugig auf die Fernsehgerätattrappen. Bei klarem Himmel ist alles anders. Den Parkplatz kann man nicht finden. Stattdessen ein Wäldchen aus Laubbäumen. Sonnenscherbenmuster auf dem Waldboden, wie Fetzen gestreifter Jacken. Die Füße schwingen im Moos, als ginge man auf Taschenfederkern. Wir haben kein Dach über dem…

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Der Specht

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„So war das zu meiner Zeit nicht!“, ruft mir der alte Herr zu, der das Kämmerchen nebenan bewohnt. Es gibt einen bestimmten Zeitpunkt im Alter, wo man zugleich schwerhörig und geräuschempfindlich ist. Von dort ruft er mir das zu. Ich weiß weder, wann seine Zeit war, noch wann sie zu Ende ging. Er ist ein unangenehmer Mensch, hat Freude am Zwist und am Unglück der anderen. Zudem stinkt er ein bisschen. Trotzdem habe ich einen Heidenrespekt vor ihm; schließlich ist es ihm gelungen, nach Ablauf seiner Zeit noch auf seinem kleinen Balkon zu stehen. Ein richtiger Balkon ist es nicht….

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Das gibt es nicht mehr

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Der Weg zur Nusshändlerin war beschwerlich und von zerschlissener Begrünung gesäumt. In den Hinterhöfen Kinder in kurzen Hosen aus braunem Tuch. Sie spielten mit alten Dosen, als kämen sie aus einer anderen Zeit. Ein muffiger Sprühregen setzte ein, der Schmutz auf dem Gehweg wurde schlüpfrig. Sie kniff die Augen zusammen. Durch die Tropfen an ihren Wimpern sah sie wie durch einen Schleier das geduckte Gebäude, in dessen Erdgeschoss sich der Nussladen befand. Wie ein vor Wochen gehäuteter Igel. Die Fenster waren dunkel und das Schild über der Ladentür war entfernt worden. Besorgt trat sie näher, in der Hoffnung, eine Nachricht…

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Morgengrauen

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Theo Klammheimer sitzt in der Dunkelheit und hält ein dick belegtes Wurstbrot auf dem Schoß. Das Knurren seines Magens scheucht ein kleines Tier im Unterholz auf. Nicht direkt im Unterholz. Eher im Gestrüpp. Er vermutet einen Igel, aber so genau kennt er sich mit Tiergeräuschen nicht aus und sehen kann man gar nichts. Das Tier nähert sich. Theo hält den Atem an. Das ist ihm noch nie passiert. Seit 17 Jahren sitzt er jede Nacht im Hof auf seinem Hocker und wartet auf den Sonnenaufgang, um sein Frühstück im ersten Morgenlicht einzunehmen. Noch nie hatte er dabei Gesellschaft und der…

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Ein deutscher Hund

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Thea Pelzfuß steht im Schatten eines Laubbaumes und schaut den Hunden auf der Wiese zu. Aufgeregt springen sie umher und jagen einander nach. Kläffen, Bellen, Knurren und Hecheln überall. Sie wollte den Singvögeln zuhören, aber daraus wird wohl nichts. Ein bärenartiges Tier kommt auf sie zugerannt. Thea Pelzfuß ist beunruhigt. Soll sie ein Stück Wurstbrot als Zeichen ihrer Friedfertigkeit anbieten? Freundlich lächeln oder versteht der Hund das als Zähnefletschen und wird von Blutdurst übermannt? Jedenfalls darf man keine Angst zeigen. Was aber zeigt man stattdessen? Bevor Thea mit ihren Gedanken ins Reine kommt, erscheint ein Mann in blauem Sportanzug und…

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Durch den Kopf

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Früher oder später probiere ich die meisten Dinge aus. Besonders, wenn etwas mich ängstigt oder mir aus unerklärlichen Gründen zuwider ist. Irgendwann später, wenn ich gestorben bin, werden die Leute über mich sagen: Zumindest hat sie es probiert. Sofern die Leute dann noch über mich reden. Ich weiß ja nicht mal jetzt, zu meinen Lebzeiten, ob über mich geredet wird. Nicht, dass es mich kümmern würde. Nicht, dass es mich nicht kümmern würde. Manchmal kommt man zur Tür heiren, und es heißt: Gerade haben wir von dir gesprochen. Oder umgekehrt, spricht man über jemanden und derjenige kommt augenblicklich zur Tür…

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Stimmen

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Wenn man sehr jung ist und die Knochen noch weich, glaubt man, alles sei möglich. Die Leute erzählen Geschichten. Von haarigen Biestern mit Reißzähnen, die sie vor langer Zeit gezähmt haben wollen und nun an einem Schnürchen spazieren führen oder von einem Zauberkasten, mit dem man in Sekunden die Rückseite des Mondes betrachten kann oder von winzigen Wesen, die im eigenen Körper die Luft von einem Ende zum anderen tragen oder von einem Mann ohne Augen, der in einer Besenkammer haust, ein schwarzes Gewand aus grober Wolle trägt und einem Unaussprechliches antut, wenn man nicht folgt. Man stolpert durch die…

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Der Kopf ist voll

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Mascha ist die älteste der Pelzfuß-Schwestern. Auf den ersten Blick denkt man das nicht. Müsste man als Unbekannter die Geschwisterschar dem Alter nach in einer Reihe aufstellen, befände sich Mascha irgendwo in der Mitte. Tatsächlich ist sie über tausend Jahre alt und das sieht man ihr wahrhaftig nicht an. Ihr Kopf ist zum Bersten gefüllt mit Erinnerungen, da gibt es keinen Platz zum Schmieden von Plänen, seien sie auch noch so kurzfristig. Dennoch stellt sich Tag für Tag eine frische Zukunft ein, voller Vorkommnisse und Überraschungen, die nach allzu kurzer Gegenwart Raum im prallen Schädel beanspruchen. Zu jedem Ereignis, sei…

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Der Haussegen

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Schindhelm Pelzfuß erinnert sich noch genau an seinen ersten Schultag. Auch hat er nicht vergessen, wie er in die Gemeinschaft der Heiligen aufgenommen wurde. Beides gleichermaßen ein Betrug, wie so vieles im Leben. Man nimmt sich vor, bei den eigenen Kindern alles anders zu machen, aber dann bekommt man keine oder macht es doch genauso. Herr Pelzfuß hat Kinder. Vier an der Zahl. Er bewahrt sie in einem Kämmerchen am Ende seiner Wohnung auf. Alle sechs Wochen nimmt er den Nachwuchshobel zur Hand und entfernt sorgfältig den Überschuss. Mit den Jahren hat er einen besonderen Schwung entwickelt. Er summt dabei…

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