Kurzgeschichten

Goodbye, Dario Fo

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Und so fand sich Dario Fo eines Morgens nach dem Aufwachen über und über von rosa Punkten in unterschiedlichen Größen bedeckt. „Unschön“, sagte Dario Fo mit belegter Stimme, bevor ihn der morgendliche Hustenanfall durchschüttelte. Die Punkte hoben sich deutlich von seiner blassen Haut ab. Vielleicht ein verspätete Kinderkrankheit, dachte er. Vielleicht, und bei diesem Gedanken stockte ihm der Atem, vielleicht sogar die Pest. Zwar wusste Dario Fo nicht mit letzter Sicherheit, ob rosa Punkte wirklich Anzeichen der Pest sind, aber er glaubte sich erinnern zu können, irgendwo irgendwann etwas Dementsprechendes gelesen zu haben. „Also die Pest“, murmelte er nach der…

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Morgen kein Tag

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Obwohl man ständig nach Gerechtigkeit ruft, klagt man über den Tod. In seinem Angesicht sind alle von gleicher Geltung. Pflanze, Tier, Kind, Greis, Mörder und Mönch: Er liebt sie alle. Mag sein, den einen ereilt er, bei der nächsten lässt er sich Zeit. Nimmt jeden Tag nur ein Schlückchen. Wie unangenehm da die Alltäglichkeit wird. Es soll doch jeder Augenblick einzigartig sein! Wer möchte sich schon an die letzten Worte „Bring mir einen Sahnekefir mit!“ erinnern? Oder schlimmer noch – sie ausgesprochen haben. Und hinterher erst. Man hätte unbedingt noch dies sagen wollen, jenes aus der Welt schaffen oder in…

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Alltägliche Abstraktion der Ichsucht

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Ich fange frisch an, ich gehe voran, weil alle hinter mir zu langsam sind. Wer ruft in den Wald? Das himmlische Kind. Es schallt. Wer ruft, sobald ein Licht sich seinen Weg durch Laubgewimmel bricht: „Ich bin der Herr, ich bin der Weg und Wille. Mein Wille geschehe.“ Wenn ich den Sachverhalt so drehe, kommt er mir ein wenig komisch vor. Und alle Kinder fragen: „Wer mag der Herr wohl sein?“ Mein Wille geschehe – geschehe, was wolle, aus vollen Wolken schöpfen, öfter mal ein Zicklein köpfen, öfter mal nach links und nach dem Rechten sehen (noch immer soll nur…

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Kopfbahnhof

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Der schönste Mann der Welt spaziert mit mir durch die Nacht. Im Schein der Gaslaternen verliert die Welt jeden Makel. Viel Lachen und Küssen, die Gedanken fliegen zwischen den Köpfen hin und her, als seien wir die Graphitelektroden einer Kohlenbogenlampe. Da werde ich durchgeschüttelt, wie bei einem Erdbeben. Der Geruch von Spiritus steigt mir in die Nase. Ein Körper ist neben mir auf das Sitzbänkchen der Mini-Dampfeisenbahn gefallen, ein Glöcklein bimmelt und die Rundfahrt durch den Vergnügungspark beginnt. Mein Geist ist auf Wanderschaft gegangen. Das passiert mir häufig. Es entgratet die Kanten der Wirklichkeit. Der Mann neben mir atmet schwer….

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Tränende Herzen

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Frau 1: Läuft. Momentan. Läuft richtig gut. Frau 2: Was ist mit deinem Gesicht? (betroffen) Was ist denn passiert? Frau 1: Ach, das ist nichts. Ein kleines Unglück nur, ein Fehltritt. Weiter nichts. Möchtest du eine Schokolinse? Frau 2: Ich glaube, das musst du behandeln lassen. Frau 1: Habe ich. Habe ich doch schon. Frau 2: Und? Was sagt der Arzt? Frau 1: Das war kein Arzt, das war die Blumenhändlerin. Die hat mir Tränende Herzen gegeben und die sollte ich mir am Vormittag auf die Wunde tun. Da habe ich mich in den Park gelegt und mich gesund geruht….

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Zustände

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Neulich ist mir eine merkwürdige Sache passiert. Ich gehe in der Dunkelheit nach Hause, als unter meinen Füßen die Straße stirbt. Bei jedem Schritt spüre ich, wie das Leben aus ihr entweicht und sie hinter mir zu Staub zerfällt. Voller Angst lausche ich, aber ich höre nur das ferne Schluchzen der Wolken und Donnergrollen aus Schweigsamkeit. Meine Patentante, ihren Namen weiß ich nicht mehr, sagte immer: Der Zimmermann im Haus erspart die Axt, mit der man sich sonst nur die Synapsen abhacken würde, aus Ungeschick oder Versehen. Unbehaglich sehe ich mich um, ob jemand das Werk meiner Zerstörung beobachtet. Ein…

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Mit Sicherheit – in Gedenken an Yusuf ibn Taschfin

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Die junge Frau hält sich zur eigenen Sicherheit an ihrer elektronischen Fußfessel fest, ein Gerät, dessen strahlendes Lächeln bis zu mir herüberscheint. Ich kneife die Augen zusammen und messe die Distanz zwischen ihr und mir. Sie fragt entrüstet, warum ich ihr mit meinem Maßband an den Beinen herumfummle. Ich lache nur und fahre fort. Sie erhebt sich, wischt mich wie eine lästige Fluse von ihrer Nylonstrumpfhose. „Was wissen Sie überhaupt von der Macht sozialer Netzwerke?“, schreit sie. „Ahnen Menschen wie Sie eigentlich, unter welchem Druck ich stehe?“ Sie schnaubt verächtlich und verlässt das Zugabteil. Ich bleibe zurück und rolle versonnen…

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Das Schauspiel

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Eine Weile sitzt Pavlik schon auf den Stufen der Veranda und betrachtet das Schauspiel. Ein Mann, gekleidet in Lumpen, wird von einer gewaltigen Welle an den Strand geworfen. Pavlik saugt einen Schluck Kaffee von der linken in die rechte Backe. Als der Mann sich nicht rührt, überlegt Pavlik hinzugehen. Seine Muskeln spannen sich an und er atmet ein, wie Menschen es tun, kurz bevor sie sich erheben. „Will man einen Drecksack erschießen, so ist das Saxophon das Mittel der Wahl.“ Daran erinnert sich Pavlik jetzt und die schleppende Stimme des Majors klingt ihm wieder in den Ohren. Der Ton des…

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Wo Kerker sind, atme ich die Luft meiner Jugend

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Den stieren Blick hat mein Bruder von unserer Mutter geerbt. Am Abendbrottisch belauert mich Etzel und wartet nur darauf, dass mir ein Missgeschick unterläuft. Schon ist es passiert: Drei Maiskörner, die eigentlich sicher auf meiner Gabel lagen, fallen auf ihrem Weg in meinen Mund zurück auf den Teller. Etzel feixt. „Weißt du, woran mich die derzeitige politische Weltlage erinnert?“, fragt er. „An den einen Winter, als du immer versucht hast, deine Füße mit Klarsichtfolie vor der Kälte zu schützen. Weißt du noch? Weißt du noch, wie das ausging?“ Ich nicke und schiebe mit dem Zeigefinger Mais auf meine Gabel. Etzel…

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Nichts geht mehr

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„Tagelang lag ich in der Takelage, in Schonhaltung, wegen einer Zerrung am Gemüt. Nur Bissen vom Gewissen hatte ich zur Nahrung und nichts zu trinken, als ein Tau“, sprach ich zu meinem Freund Ferdinand, bevor er mich fragen konnte, wo ich denn die ganze Zeit gewesen sei, als ich mit zausem Haar und wildem Blick in sein Wohnloch kroch. „Und jetzt?“ Ferdinand hatte stets eine Frage parat, egal wie ausführlich man antwortete. „Jetzt habe ich den vernichtenden Blick erlernt. Von einem schmatzenden Tölpel, der mir die halbe Zeit über im Nacken saß. Ich gucke einmal vernichtend und paff! stehen nur…

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