Literarisches

Rorschachs Quatsch

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Letztens, ich saß an meinem Schreibtisch mit gespitztem Bleistift, vor mir ein geöffnetes Notizbuch, bekam ich Nasenbluten. Nicht den Kopf in den Nacken legen, bloß nicht den Kopf nach hinten! Ich ließ ihn also nach vorne hängen und Blut tropfte über meine Nasenspitze auf das Papier. Allmählich bildeten die Tropfen Muster und Formen. Kaum dass ich in der oberen Ecke der Seite das Gesicht Hermann Rorschachs erkannte, richtete er bereits das Wort an mich. „Es ist meine feste Überzeugung“, sagte er mit unverkennbar schweizerischer Färbung im Tonfall, „dass der Rock ’n‘ Roll jeden Krieg, jeden bewaffneten Konflikt seit 1957 zu…

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Waldos Auferstehung

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Wenn die Christenheit ungeduldig mit den Hufen scharrt und auf das große Fest der Auferstehung wartet, erinnere ich mich an meinen Vetter Waldo. Obwohl er einige Jahre älter war als ich, war mir seine frühe Kindheit bekannt, denn bei Familienfeiern war es üblich, stundenlang Super-8-Filme über ihn anzusehen, in denen jedes noch so kleine Malheur dokumentiert war. Es gab den Film, in dem Waldo von der Wickelkommode fällt, Waldo, wie er auf seinem Töfpchen sitzt und mit all seiner kindlichen Kraft versucht, eine Kotwurst hervorzupressen und natürlich Waldo, wie er vor Schmerzen brüllt, weil er seine speckigen Finger in einen…

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Consilium

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Kaum-Ich: Ich frage mich immer, was du so machst, wenn ich nicht bei dir bin. Nicht-Ich: Denk. Denk. Denk. Kaum-Ich: Ich meine, was siehst du? Was tust du? Nicht-Ich: Denk. Denk. Denk. Kaum-Ich: Genau. Woran denkst du? Nicht-Ich: An nichts Bestimmtes. Ich denke vor mich hin. Mal dies – meist das. Kaum-Ich: Und dabei kommst du dir nicht nicht komisch vor? Was nutzt es, einfach nur vor sich hin zu denken? Solltest du nicht vielmehr zielgerichtet denken? Nicht-Ich: Hm – nein. Kaum-Ich: Aber wenn wir zusammen sind, da passiert es dir doch hoffentlich nicht. Nicht-Ich: Was denn? Kaum-Ich: Naja, dass…

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Abgeschmacktes

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Man muss etwas dazu sagen und sei es noch so abgeschmackt. Es will niemand einen Krieg und dennoch gibt es ihn. Er ist so alt wie die Menschheit. Also fast so alt wie das Rad. Vielleicht sollte man dahin zurückgehen, wo es noch keine Räder gibt. Aber wie kommt man da hin? Zu Fuß oder auf Kufen, sonst könnte man sich den Weg gleich sparen. Das sind gemütliche Gedanken, die man sich machen kann, wenn einem nichts weiter als Birkenpollen um die Nase fliegt. Andere Leute packen ihre Habseligkeiten zusammen und sehen zu, dass sie fortkommen, zu Fuß, auf Rädern,…

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Das neue Normal

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Ich bin nicht müde. Wirklich nicht. Ihr mögt müde sein, ständig müde sein, aber nicht ich. Ich bin nicht müde. Ihr vielleicht, aber ich nicht. Das sagte ich bereits, sagt ihr? Mag sein. Ich bin voll Kraft, voll wacher, unbändiger Kraft, da schweifen selbst dem Wachsten schon mal die Gedanken in die Ferne. Dem Wachsten unter uns. Und der mag ich ohne Mühe sein. Ohne Mühe, ohne Mühe, ohne jemals müde zu sein, ohne müde zu werden. Ich war noch nie so wach wie heute, wie gerade jetzt, nicht eben und nicht gestern. Jetzt bin ich wach und ihr seid’s…

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Die Entdeckung des Buckligen

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Die Luft ist feucht im Keller, es riecht entsprechend modrig. Der Bucklige öffnet einen Verschlag und bittet mich einzutreten. „Das ist das Allerheiligste. Nur wenige Menschen haben es je zu Gesicht bekommen und noch weniger können davon berichten.“ Eine „wissenschaftliche Sensation“ war mir angekündigt worden, ein „Durchbruch“. Nichts weniger erwarte ich jetzt und ich muss an mich halten und mich bemühen, meine Enttäuschung zu verbergen, mir meine Unzufriedenheit nicht anmerken zu lassen, als der Bucklige das Licht anknipst und ich sehe, dass sich außer einer alten mannslangen Kiste aus Holz nichts im Verschlag befindet. „Künstliche Intelligenz bei körperlicher Vollkommenheit ist…

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Die Miete

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Nicht einmal die Jahreszeiten sind noch echt. Sieht man aus dem Fenster, wähnt man sich im Frühling, doch draußen pfeift ein eisiger Wind um die Häuserecken, dass einem die Ohren taub werden. Das wiederum macht nichts aus, denn zu hören gibt es ohnehin nichts von Bedeutung. Und es stimmt auch nicht. Zu meinem Leidwesen höre ich allzu gut: Das Brummen des Wagens meiner Hauswirtin zum Beispiel. Ein dunkelgraues Ungetüm, groß wie ein Panzer, das bedrohlich unsere Hofeinfahrt blockiert. Zum Zeichen ihrer Anteilnahme am Elend der Welt hat sie blau-gelbe Plastikfähnchen an beiden Seiten angebracht; ein Anblick den man sonst nur…

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Theologie des Alltags

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„Ewiges Leben ist kein Heilsversprechen“, sagt der Mann mit dem blauen Frottee-Cape und sieht sich verstohlen um. „Ewiges Leben ist eine Drohung.“ Er flüstert, sein Zuhörer kann ihn kaum verstehen. Der Zuhörer nickt wie einer, der zwar prinzipiell zustimmt, aber trotzdem noch einige Fragen hat und dem die ganze Heimlichtuerei eigentlich zuwider ist. Der Mann mit dem Cape rückt näher, um die Stimme noch weiter zu senken. „Die östliche Sichtweise auf Leben und Sterben ist meiner Meinung nach äußerst zutreffend.“ Der Zuhörer kennt die östliche Sichtweise nicht, verkneift sich jedoch eine Nachfrage diesbezüglich. Er zieht einen Plastikrevolver aus der Tasche…

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Kopfüber

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Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man denken, die Welt sei in Wahrheit der zu groß geratene Kopf eines Kindes, das auf krummen Beinchen von einem Elend zum nächsten stolpert. Wo, möchte man fragen, sind die Eltern abgeblieben und warum scheren sie sich nicht darum, ob der klägliche Knirps von Kopfläusen und schmerzender Blödheit geplagt ist? Aber man weiß es ja besser, jeder weiß alles besser, jahrein, jahraus dröhnt einem schäfisch dahergeblöktes Besserwissen um den verlausten Schädel, während man vergeblich versucht, es sich in der Fontanelle zwischen flaumigem Babyhaar und Milchschorf gemütlich zu machen. Aber das gelingt einem nie,…

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Vorkommnis

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„Kindereien“, sagte er, als ich ihn auf seine Probleme ansprach. „Nicht der Rede wert, wirklich.“ Ich bewunderte seine lässige Art, mit Angelegenheiten umzugehen, die einen anderen Mann sicherlich erdrückt hätten. Im Gegensatz zu beispielsweise mir ließ er sich niemals unterkriegen, er schien mit jedem Widerstand zu wachsen und konnte sich an allen Schwierigkeiten zu voller Größe aufrichten. Was er an mir fand, verstehe ich bis heute nicht. Vielleicht war es das Brüchige, das mir zweite Natur geworden war und das ihm gänzlich fehlte. Vielleicht war es mein unaufdringliches Naturell, das ihm viel Raum zur Entfaltung ließ, ich weiß es nicht….

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