Das Lied vom Glück

By

Philip Pelzfuß steht am Tor und sieht den Menschen nach, die an seinem Haus vorüberziehen. Bepackt mit unterschiedlichen Habseligkeiten stapfen sie durch den Schnee auf dem Weg in eine goldene Zukunft. „Wieviele sind es?“, ruft seine Frau aus der Küche. „Ein paar Hundert oder ein paar Tausend“, antwortet Philip Pelzfuß. „Ich bin doch so schlecht im Schätzen, Elfriede. Sie singen jedenfalls alle.“ „Das höre ich. Es ist ja ohrenbetäubend.“ Elfriede Pelzfuß kommt an den Gartenzaun, ein Geschirrtuch über der Schulter. Sie wischt sich die Hände an ihrer Kittelschürze ab und legt ihrem Mann dann eine auf die Schulter. „Wollen wir…

Read More

Lustig, lustig

By

Mich juckt es in den Fingern. Das klingt an sich nicht schlimm. Als hätte ich große Lust, eine bestimmte Sache in Angriff zu nehmen und könne es kaum erwarten, müsse nur noch eben etwas anderes erledigen, das keinen Aufschub duldet. Tatsächlich plagt es mich den ganzen Tag und einen großen Teil der Nacht. Mein sehnlichster Wunsch ist eine dritte Hand mit Fingern, die nicht von dem Unheil befallen sind und die geplagten kratzen können. Aber die bekomme ich nicht. „Das zahlt die Kasse auf keinen Fall“, meint mein Hausarzt, ein dicker, älterer Herr mit weißem Bart, der in der Weihnachtszeit…

Read More

Wiedersehen mit McMurphy

By

„Das Problem mit euch Empathen ist ja nicht, dass ihr besonders viel fühlen würdet“, sagte McMurphy und spuckte in mein Weinglas. Ich betrachtete die gelblich-weißen Bläschen, die auf der Oberfläche des Weins langsame Kreise zogen. McMurphy räusperte sich und verschloss währenddessen mit Daumen und Zeigefinger beide Nasenlöcher. „Weißt du, was das Problem mit euch Empathen ist? Soll ich es dir sagen?“, fuhr er fort. Da er seine Finger nicht rechtzeitig von der Nase genommen hatte, klang seine Stimme bei den ersten beiden Wörtern albern und ich gluckste. McMurphy schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und die Spuckebläschen zitterten….

Read More

Vorbeigeredet

By

Erinnerst du dich noch an die Geschichte mit der Sprechstundenhilfe aus Puerto Rico? Ich weiß nicht. Das ist alles so lange her. Kam die nicht aus Costa Rica und war Zahntechnikerin? Ist ja auch egal. Ich bin mir zu hundert Prozent sicher, dass sie aus Puerto Rico war. Wie kann dir das egal sein? Schließlich ist am Ende Bratwurst-Rainer gestorben. Hieß der nicht Currywurst-Klemens? Das war doch der Typ, der seinen Hund aus der Umkleidekabine vom Freibad hatte. So ein Cocker-Spaniel war das. Toffy. Das arme Tier war dort angebunden und Currywurst-Klemens hat ihn gerettet. Und der ist tot? Das…

Read More

Der Aal

By

„Bei allem Respekt, meine Damen und Herren, darf ich Sie doch darauf aufmerksam machen, dass, auch wenn es uns manche anders glauben machen möchten, die ganze Angelegenheit lediglich auf Vermutungen beruht, die, wie wir sicherlich bald alle sehen werden, sich als Missverständnisse herausstellen, sobald alles rückhaltlos aufgeklärt ist, wofür ich, wie jeder, der mich kennt, weiß, ohne Kompromisse Sorge tragen werde, darauf können Sie sich, wie gewohnt, verlassen. Sollte es in der Sache zu Ungereimtheiten gekommen sein, werde ich, auch wenn manche das Gegenteil behaupten, nicht eher ruhen, bis ich herausgefunden habe, wer dafür die Verantwortung trägt, denn dafür muss…

Read More

Die Wehklagerin

By

„Kein Schwanz ist so hart wie das Leben“, pflegte meine Großmutter zu sagen, wenn Trost für uns Kinder vonnöten war. Ich glaubte ihr nicht, denn etwas Härteres als Onkel Manfreds Rute, die er mir nachts zwischen die Kiefer zwängte, konnte ich mir lange Zeit nicht vorstellen. Aber ich war ja noch jung und wusste nicht Bescheid. Trotz dieser unsanften Behandlung in zartem Alter, bin ich zeitlebens eine Mimose geblieben. Was andere Leute als lässliche Unannehmlichkeit abschütteln, wirft mich für Wochen nieder. Ich hüte meinen Schmerz wie einen Schatz. Ein überflüssiges Unterfangen, denn wer würde ihn mir schon nehmen wollen? Die…

Read More

Pechmarie

By

Ich habe es satt, mein Gesicht jeden Tag im Spiegel älter und grauer werden zu sehen. Deshalb habe ich ihn heute zerschlagen. Das bringt sieben Jahre Pech, heißt es. Darauf freue ich mich. Denn das Glück habe ich ebenfalls satt. Ein launisches Ding, das ohnehin nie da ist, wenn man es nötig hätte. Wenn ich es mir aussuchen könnte, hätte ich lieber sieben Jahre lang Bitumen. Das klingt gemütlicher, und auf Gemütlichkeit lege ich Wert. Aber ich will keine Ansprüche stellen. Ich bin gespannt, wer mir das Pech bringt. Womöglich gibt es einen extra Pechboten. Ob ich das ganze Pech…

Read More

Das Ende des Sommers

By

Ich recke meine Hände der Decke entgegen. Das ist ein weiter Weg, wenn man auf dem Rücken liegt. Auf halber Strecke verlässt mich die Kraft, die Arme fallen links und rechts neben meinem Körper herab und bleiben liegen. Die kleinsten Kleinigkeiten erschöpfen mich dieser Tage: ein Atemzug, ein Wimpernschlag, eine zu rasche Bewegung des Daumens. „Wer rechtschaffen müde ist, der kann auch schlafen“, sagt die Mutter zu ihrem Kind und legt ihm Münzen auf die Augenlider. „Es gibt doch Pillen gegen alles, geh zum Arzt, der wird dir schon was aufschreiben“, sagt der Hase zum Igel, der plattgefahren am Straßenrand…

Read More

Ein Praktikum

By

Es verhält sich so, dass manche wissen wollen, wo etwas herkommt und andere, wo es hingeht. Ein Wasserfall ist da gar kein schlechtes Beispiel. Noch dazu mit Abendrot und Bäumen, die sich bereits zur Nacht geschwärzt haben. Da fürchtet sich der ein oder andere, denn in der Dunkelheit wittert man Gefahren, wenn man entsprechend gestrickt ist. Ich hingegen fürchte das, was zu sehen ist. Das Verborgene ist ja meist selbst ängstlich. Warum würde es sich sonst in dunklen Winkeln herumdrücken? Andererseits unterschätzt man die gut beleuchteten Gefahren oft schon wegen ihrer Sichtbarkeit. Alles hat eben seine Nachteile. Vielleicht mache ich…

Read More

Alte Geschichten aus Bad Sodom

By

„Störe meine Greise nicht!“ Die Stimme des Pflegedienstleiters dröhnte durch den Park, dass die Pfosten wackelten, an denen die Lautsprecher befestigt waren. Die Gruppe alter Damen zuckte unter dem Gebrüll zusammen. Einige umklammerten verängstigt ihre Turnbeutel, andere verkrochen sich hinter Formschnittbäumen und sahen voller Sorge zum geöffneten Fenster des Büros hinauf. Veronika Duschek atmete tief ein und reckte trotzig das Kinn. Heute war ihr großer Tag. Das erste Training der Damen-Beachvolleyball-Mannschaft des Seniorenwohnstifts „Eichenhain“ in Bad Sodom stand bevor, und sie würde es sich unter keinen Umständen von diesem Despoten in Birkenstocklatschen zu Nichte machen lassen. Monatelang hatte sie die…

Read More