Das Odikolon

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Als ich vor ein paar Tagen am Briefkasten vorüberging, stieg mir der Duft von Kölnisch Wasser in die Nase, mit dem mein Vermieter seine Briefe zu parfümieren pflegt. Voller Unbehagen nahm ich den lila Umschlag in die Hand und befühlte ihn vorsichtig. Nur ein Blatt. Sehr geehrte Mieterin … blablabla … im Angesicht der rasenden Inflation sehen wir uns gezwungen … blablabla … Mieterhöhung um 15% … blablabla … gesetzeskonform. Sollte ich die Erhöhung ablehnen, stünde es mir frei, zur bisherigen Miete in den Fahrradschuppen zu übersiedeln. Als Dank für jahrelange Treue würde mir in den nächsten Tagen ein Fläschchen…

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Blutsbande

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Wenn man sonst keine Sorgen hat, lockt einen das Abenteuer. Um von den Mitmenschen nicht als verdeckter Pauschaltourist belächelt zu werden, muss das Unterfangen von kolossaler Waghalsigkeit sein. Barfuß mit nur einer Malakofftorte als Proviant ins Hochgebirge zum Beispiel. Oder man umsegelt die Welt in 80 Tagen auf einem Käsebrot. Gerät man in Kalamitäten, ist einem die Aufmerksamkeit der Medien und Langweiler rund um den Globus sicher. Es gibt Leute, die mögen das. Sabine Pelzfuß gehört nicht dazu. Die Betreuung ihrer alten Mutter ist für sie abenteuerlich genug und auf neunmalkluge Ratschläge und neugierige Blicke kann sie getrost verzichten. Nunja….

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Unkündbar

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„Du siehst nicht aus, als seist du sonderlich glücklich in deinem Job“, sagte Jonas Pfeffersuder, nachdem er mich prüfend von oben bis unten gemustert hatte. In der Grundschule hatten wir zusammen am Gruppentisch „Die Hummeln“ gesessen und ich wunderte mich, dass er mich nach der langen Zeit überhaupt erkannte. Er selbst hatte sich kaum verändert, nur ein bisschen gewachsen war er. Wie zu Schulzeiten trug er kurze Hosen mit Hosenträgern und sein Specknacken glänzte in der Sonne wie ein goldener Schal aus Fett. Da ich tatsächlich nicht zufrieden mit meiner Arbeit war, nahm ich sein verlockend klingendes Angebot an. Unbefristeter…

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Auf der Goldwaage

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Durch einen simplen Katarrh bin ich unlängst einem beachtlichen Menschheitsproblem auf die Spur gekommen. Die Benutzung der eigenen Stimme verbraucht zu wenig Energie. Der Mensch vermag in beliebiger Lautstärke und endlosen Wiederholungen in Wald, Stadt und Flur Nichtigkeiten dahinzuposaunen, ohne dass es ihn die geringste Mühe kostet. Seit ein paar Tagen bringe ich nicht mehr als ein gebrochenes Flüstern zustande und bereits nach drei oder vier Sätzen muss ich ein Schläfchen halten, um wieder zu Kräften zu kommen. Da überlegt man sich gut, ob eine Sache der Erwähnung wert ist. Dazu kommt, die Umwelt ist gar nicht auf leise Töne…

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Gefühle

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Man muss immer auf das Bauchgefühl hören. So predigen es die klugen Leute und stets folgt der Ermahnung eine Anekdote, in deren Verlauf einem dies oder jenes widerfahren ist, weil man dem Rat des Bauchgefühls gefolgt ist. Die weniger Klugen kennen Geschichten über allerhand Ungemach, das ihnen erspart geblieben wäre, hätten sie auf ihr Bauchgefühl gehört. Von Haus aus bin ich keine Neiderin, doch ich kann nicht umhin, voller Sehnsucht den Geschichten über anderer Leute Bauchgefühl zu lauschen. Mein eigenes ist nämlich kein guter Ratgeber, um nicht zu sagen: eine Katastrophe. Läutet morgens der Wecker, rät mir mein Bauchgefühl liegenzubleiben….

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Kulturfolger

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In der Wohnung über mir ist ein Rudel Wölfe eingezogen. Ein Elternpaar, drei Welpen und zwei halbwüchsige Geschwister. Zunächst war ich erfreut, denn die Nachbarin, die zuvor dort wohnte, war ein missgünstiges Weib, das eimerweise Wasser vom Balkon schüttete, wenn irgendwo zu laut gelacht wurde. Die Wölfe lebten ursprünglich im Wald, doch da sie dort ständiger Bedrohung durch den Ministerpräsidenten ausgesetzt waren, haben sie bei meiner Vermieterin um Asyl angesucht. Ich muss sagen, angenehmere Nachbarn hatte ich mein Lebtag nicht. Wenn sie nachts nicht ab und zu heulen würden, merkte ich gar nicht, dass sie da sind. Die Wolfsmutter grüßt…

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Caruso

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Am Wochenende kommt mein Onkel Caruso zu Besuch. Ein unangenehmer alter Herr, der häufig „Informier dich mal!“ ruft. Aber wenn ich mir weiterhin Hoffnung auf seine Erbschaft machen will, komme ich um das vierteljährliche Wochenende mit ihm nicht herum, auch wenn ich es vorzöge, mit einem Fabelwesen einen Staatsbesuch im Reich der Mitte zu machen. Mit düsterer Mine schiebe ich den Staubsauger über den Fußboden und verwünsche meine Geldgier. Ein Papagei flattert zum Fenster herein und lässt sich auf einer Sessellehne nieder. Er schüttelt sein prächtiges Gefieder. Staub und kleine Federn rieseln auf den frisch gesaugten Teppich hinab. Das Tier…

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Das tückische Es

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„Man muss sich sputen, wenn man den Sonnenstrahl erwischen möchte. Wer trödelt, steht im Regen, ehe er es sich versieht.“ Das klingt nicht nur in meinen Ohren merkwürdig. „Was?“, brüllt der Hausmeister, als ich es ihm statt eines Grußes zurufe. Er weist mit einem fleischigen Zeigefinger auf den gelben Plastikhelm, der er neuerdings trägt. Ich wiederhole die Sätze etwas lauter und finde sie beim zweiten Mal abgedroschen und oberflächlich. Lieber würde ich über etwas anderes sprechen. Oder noch lieber über nichts. „Ich habe Sie schon beim ersten Mal gehört“, brüllt er. „Aber ich verstehe nicht. Der Helm schnürt mir das…

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Staubzeug

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Als der Reinigungsmajor vorigen Donnerstag zur jährlichen Inspektion in meine Wohnung kam, half es nichts, dass ihn die kindskopfgroßen Staubmäuse unter dem Tisch hervor böse anstarrten. Mit bis zur Stirn gerümpfter Nase tippelte er zwischen den Stapeln unerledigter Korrespondenz umher und sah sich nach einer Sitzgelegenheit um. „Hm“, brummte er, als ich mit dem Zeigefinger auf ein freies Plätzchen auf dem Sofa wies. Er ließ sich neben einem Haufen Schmutzwäsche nieder, betrachtete die gilben Staubfäden, die von der Decke hingen, und brummte erneut. Er machte sich Notizen auf seinem Klemmbrett. Das Kratzen des Stiftes machte mich nervös, also hielt ich…

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Das Cerebrummen

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Dass der Mensch allein durch das Verstreichen von Lebenszeit immer klüger werde, ist ein beliebtes Motiv in einer Gesellschaft, die vom Wachstum besessen ist. Oft bekommt man zu hören, mit dem Alter käme die Weisheit oder hinterher sei man schlauer. Doch wer schon einmal seinen Schädel in Verzweiflung über den schlingernden Lauf der Welt gegen die metallumantelte Kante eines Küchenschränkchens geschlagen hat, wird widersprechen, sobald die bunten Punkte einem nicht mehr vor den Augen hüpfen. Das Gehirn ist ein leicht zu beleidigendes Organ. Beansprucht man es zu wenig, legt es sich schlafen und lässt sich nur schwer wecken, doch zu…

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