Adel vergeht

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Der Adel ist mir zuwider. Und das, obwohl ich selbst eine Prinzessin war. Ich weiß, man sieht es mir nicht an. Die Knochen sind zu klobig und mein Teint gleicht eher einer alten Holzschüssel als feinem Porzellan. Aber wenn Sie es nicht zu genau nehmen, sieht mein Kinn nach Habsburg aus. Als ich noch ein Kind war, kutschierte mich der Großvater in einer knallroten Karosse über meine Ländereien. Nichts Besonderes freilich: Ein krummes Tal mit grauscharf gezackten Rändern am Übergang zum Himmel, durchschnitten von einem Fluss, dessen Wasser sich scheinbar träge und zäh durch sein Bett wälzte. Unter der meist…

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Das Fell

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Wie auch immer man die Dinge handhabt, irgendwo findet sich jemand, der etwas daran auszusetzen hat. Man muss sich nur Zeit nehmen und hartnäckig sein, am besten auch noch laut und reißerisch, denn unbemerktes Handeln bringt niemanden auf. Folge ich diesem Grundsatz, müsste sich doch auch jemand finden, der mir und meinen Taten frenetisch applaudiert oder wenigstens beifällig dazu nickt. Aber nichts da, von meinen Bewunderern fehlt seit Jahr und Tag jede Spur, mehr als ein Schulterzucken ernte ich nicht für meine Mühen. „Sie sind zu zögerlich, meine Liebe“, erklärt mein Berufsberater „Mehr Gekreisch, mehr Schrillen, Blöken und Tröten ist…

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Dem Bußfertigen gehört die Welt

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„Erzählen Sie mir etwas Blaugraues!“, forderte der Prälat. Sehen konnte ich ihn durch das Gitter der Trennwand freilich nicht, doch das Knarzen der Stimme gab seine Identität preis. Nachdem ich tagelang schuldbeladen zu Hause gesessen hatte, stand mir der Sinn nicht danach, mit dem Monsignore Mätzchen zu machen. Ich wollte beichten. „An sich habe ich erwartet, dass Sie mir die Beichte abnehmen“, entschlüpfte es mir patziger als geplant. Der Prälat rutschte auf seinem Stuhl herum, das Holz knarzte, ähnlich wie zuvor seine Stimme. Saß er überhaupt auf einem Stuhl? Ich nahm es an, obschon ich niemals auf seiner Seite gewesen…

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Das Hier und Jetzt

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Man soll im Hier und Jetzt leben, heißt es. Das ist am gesündesten. Wer sich das ausgedacht hat, dessen Hier und Jetzt ist gewiss nicht so ungemütlich wie das von Lupine Pelzfuß, die mit einer dicken Backe an der Bushaltestelle steht. Ein eitriger Backenzahn hat sie aus dem Haus getrieben. Nun schleicht sie im Schattenwurf des Fahrplanständers hin und her, eingeklemmt zwischen den Erinnerungen an die voller Schmerzen durchwachte Nacht und der Aussicht auf in Latexhandschuhen schwitzende Männerhände in ihrem Mund – beides um Längen angenehmer als das Hier und Jetzt. „Wer also hat sich das ausgedacht?“, fragt ein Uhu,…

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Der Auswurf

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Gleich nach dem Erwachen habe ich eine Portion bläulich-grüner Flüssigkeit mit Bröckchen in eine Schüssel erbrochen, die neben meinem Bett in einer Halterung steht. Diese Halterung ist äußerst praktisch. Sie umschließt Aschenbecher, Trinkgläser, Toilettenpapierrollen, Brechschüsseln oder Schokoladentafeln, je nach Bedarf. Ich habe sie vom Staat spendiert bekommen, damit ich länger im Bett bleiben kann und nicht wegen jeder Kleinigkeit aufstehen muss. So spare ich Energie und leiste einen Beitrag zum Großen Ganzen. Musste man sich früher noch plagen und sieben Tage die Woche schuften, um der Gemeinschaft weiterzuhelfen, reicht es heutzutage, möglichst nichts zu tun. Das kommt mir sehr entgegen,…

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Im letzten Moment

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Johanna Pelzfuß kann sich nicht für Bootsfahrten begeistern. Man sitzt unbequem auf einem häufig nassen Bänklein aus Holz oder Plastik und um einen herum gluckert und platscht es, als führe man im Magen eines Riesen dahin. Das stete Auf und Ab ist fad und unvorhersehbar zugleich, genau wie das Leben. Schon als Kind hatte Johnanna das Weite gesucht, wenn ihr Großvater sonntags rief: „Auf, auf, Nannerl! Wir machen eine Bootsfahrt mit dem Kaplan!“ Mag sein, dass der Kaplan Johannas Abneigung gegen alles Nautische noch befeuerte, wenn er mit aufgeblasenen Backen und schwitzendem Wanst die Ruder schwang und sie und den…

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Das Leid

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„Das Leid“, sagte der Mann, „lässt sich nicht messen. Denn das Leid ist eine persönliche Angelegenheit.“ Er ging mit schwungvollen Schritten den Bühnenrand entlang. In der Hand hielt er ein Kästchen, das durch Drücken der bunten Knöpfchen Bilder auf der Leinwand hinter ihm erscheinen ließ oder einen dünnen, roten Lichtstrahl ausspuckte, mit dem er auf wichtige Einzelheiten deuten konnte. „Wer nichts Schlimmeres kennengelernt hat, dem beschert ein eitriger Backenzahn unermessliches Leid, auch wenn eben jener Backenzahn dem hungernden Sklaven nur eine kleine Unannehmlichkeit bedeutet.“ Er bleckte seine weißen Zähne, die gewiss nichts von Eiter wussten, und hob einen manikürten Zeigefinger….

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Fehleinschätzung

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Ich nenne zahlreiche Talente mein Eigen, doch Menschenkenntnis gehört nicht dazu. Auch mit Pflanzen kenne ich mich nicht aus, aber mein Alltag ist so eingerichtet, dass ich es selbst kaum bemerke. Gänseblümchen, Löwenzahn, Birke, Eiche, Weihnachtsbaum, mehr benötige ich in der Regel nicht. Meine Mitmenschen richtig einschätzen und beurteilen zu können, das wäre ein Sache, in der ich gerne Meisterschaft oder wenigstens vage Ahnung erlangen würde. Selbst von Letzterem bin ich himmelweit entfernt. Wo andere im menschlichen Miteinander über Vorhersehbarkeit und ewiggleichen Trott klagen, ist meine Überraschung kolossal. Nicht einmal den Zorn meines Vaters konnte ich vorhersehen, als ich ihm…

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Der Becher

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Viel zu selten kommt die Frage auf, worin eigentlich die Menschlichkeit besteht, gegen die immer wieder irgendein Bösling ein Verbrechen begeht. Die Leute senken betreten die Stimme oder heben sie voller Empörung – je nach Temperament – wenn sie über den Übeltäter sprechen, doch scheint die Menschlichkeit etwas zu sein, das nur sichtbar wird, wenn man sie schubst oder boxt. Im Alltag hört man kaum etwas von ihr. „Ich bin auch nur ein Mensch!“, pflegte mein Onkel Maximilian, Busfahrer und Sozialdemokrat, auszurufen, wenn meine Großmutter ihn rügte, weil er uns Kinder zwang, seinen käsigen Schwanz abzulecken. Gestern traf ich ihn…

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Der Schwur

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Irgendwann erreicht man das Eierliköralter. Daran führt außer dem frühen Tod kein Weg vorbei. Eben stand man noch in einem muffigen Club am Rand der Tanzfläche und wackelte mit den Hüften, in der Hand ein Glas Buntes oder eine Flasche Bier, da findet man sich – ohne denkwürdigen Abschied – abends auf dem Sofa und schlürft das gelblich-zähe Zeug aus einem Schokoladenbecher zum Fernsehkrimi. Auch Isabella Pelzfuß erging es nicht anders, nur dass ihre Füße auch noch in dicken, zu Tigertatzen geformten Plüschpantoffeln steckten. „Warum auch nicht?“, rief sie aus, als ihr der Unterschied zu vergangenen Samstagabenden bewusst wurde. „Weil…

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