Höllischer Abend

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Obwohl ich nach dem Duschen meine Füße mit glitzerndem Kunstschneepulver eingesprüht habe, bin ich nicht in festlicher Stimmung. Bräsig breiten sich die Feiertage der Christenheit über Wochen und Monate im Jahreskreis aus, so dass einem kaum Platz zum Atmen bleibt, geschweigedenn für wilden Tanz und Orgien. „Machen Sie doch! Wir leben schließlich in einer freien Gesellschaft“, ruft mir meine Nachbarin zu. Sie trägt trotz der sommerlichen Temperaturen eine Weihnachtsmütze und der Schweiß läuft über ihr Gesicht, als sie einem zu grauem Klump zusammengeschmolzenen Schneemann die Rübennase zurechtrückt. Sie beugt sich über den Topf mit kahlem Zierklee und betrachtet neugierig meine…

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Das ist ja ein Delirium

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Es gibt diese Tage, da wacht man morgens auf und kann die eigenen Hände nicht erreichen. Sie schaukeln in weiter Ferne an dünnen Armen, während man selbst zuhause sitzt und sich den Schlaf nicht aus den Augen reiben kann. „Kommt zurück!“, will man ihnen zurufen, aber durch den zugeschwollenen Hals entweicht nur eine sanfte Brise und die Hände schaukeln noch ein bisschen mehr. Kleine Stücke Erinnerung wagen sich hervor aus dem zähen Gehirn, wohlwissend, dass man sie nicht greifen kann. Eine aus Harzer Käse geschnitzte Deutschlehrerin mahnt mit erhobenem Zeigefinger, man dürfe Sätze nicht mit „Und dann …“ beginnen, wenigstens…

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Fragen Sie mich bloß nichts!

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Als moderner Mensch muss man immer und jederzeit über alles Bescheid wissen. Mir lag das Modernsein schon in der Wiege. Bereits mit wenigen Monaten vermochte ich in ganzen Sätzen zu sprechen und fragte meinen Eltern Löcher in den Bauch, aus denen lebenswichtige Organe austraten. Das brachte ihnen einen frühen Tod und ich wuchs fortan im Nasewaisenhaus auf, wo ich aus Sicherheitsgründen nur sprechen durfte, wenn mich jemand etwas fragte. Da ich selbst entsetzt über die Angelegenheit war, kam mir das Schweigen entgegen, wollte ich doch keine weiteren Todesfälle herbeiführen. Traurig war ich dennoch, denn mein Berufswunsch war Quizmistress gewesen. Das…

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Veränderungen

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Als Kind plagten mich andere Sorgen und Nöte als heute. Niemals sprach ich diese Sätze über Fischers Fritz oder die langsame Kellnerin nach, aus Angst vor einer gebrochenen Zunge und die Furcht vor der Pest raubte mir den Schlaf. Orangenhaut fand ich hingegen begehrenswert, denn ich mochte es wohlriechend und farbenfroh. Nun warte ich gespannt auf das Alter, das gewiss neue Ängste für mich bereithält und mich über die heutigen lächeln lassen wird. „Wer will schon zweiundachtzig werden?“, fragt meine Nachbarin, eben erst alt genug, um wichtige Dokumente zu unterzeichnen. „Jemand, der einundachtzigeinhalb ist“, gebe ich ihr zur Antwort, bevor…

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Versprochen

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Ich halte nicht viel von Schwüren. Sie erwecken den Eindruck, man müsste sich in einer bestimmten Sache nicht mehr entscheiden und sei für alle Zeit vor Veränderungen sicher. Götter, Mütter und das Leben müssen als Beschworene herhalten, einzig damit der Schwörer keine lästigen Fragen mehr beantworten muss oder bei Gericht einen seriösen Eindruck machen kann. Schwören gilt gemeinhin als Zeichen von gefestigtem Charakter und wer es ablehnt, wird beargwöhnt. „Die will sich nicht festlegen!“ oder „Der möchte nicht für seine Lügen einstehen!“, rufen die Freunde des Eides dann und müssen aufpassen, dass ihnen dabei der Geifer nicht vom Kinn rinnt….

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Andere Zeiten

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„Da laust mich ja der Affe!“ ist ein Satz, den ich in meiner Kindheit häufig zu hören bekam. Besonders meine Tante Mariedl rief ihn bei jeder auch noch so kleinen Überraschung aus und schlug dazu die Hände über dem Kopf zusammen, dass die dünnen, goldenen Armreifen an ihren Handgelenken klimperten wie die Glöckchen des Christkinds. Mariedl, stets aufgetakelt, als wollte sie zum Karneval in Rio, hatte gewiss ihr Leben lang keinen Affen zu Gesicht bekommen, denn sie stammte aus einem Dorf am Hang eines finsteren Tals und vom Reisen wurde ihr übel. Ich hingegen wurde von meinen unternehmungslustigen Eltern bald…

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Das falsche Wort

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Eigentlich wollte ich Ihnen von Zeloten erzählen. So ein lustiger, kleiner Text sollte das werden, wo drinsteht, dass ich als Kind dachte, Zeloten seien Piloten in Zeppelinen oder kleine Staubkatzen, die wegen dem Putzfimmel der Menschheit vom Aussterben bedroht sind oder dass ich meiner Großmutter immer bei der Zelotenernte helfen musste und es danach wochenlang nur Zelotenmarmelade gab, die zwar appetitlich rot war, aber für meine Kinderzunge ein bisschen bitter schmeckte, so wie das ganze Leben. Sie hätten gelacht, so wie man eben lacht, wenn jemand ein Wort nicht richtig benutzt und das Wochenende wäre geritzt gewesen. Aber ich muss…

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Dazwischen

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Lange bevor der Wecker klingelt, klopft es an meiner Wohnungstür. Zuerst denke ich, die Nachbarin über mir trommelt einmal mehr gegen die nächtliche Stille an, aber das Klopfen ist fröhlich und beschwingt. Ich will mir die Bettdecke über den Kopf ziehen, doch ein dicker Hund liegt auf dem unteren Zipfel und macht sich murrend extra schwer. Seufzend setze ich mich auf. „Was ist denn?“, frage ich an der Tür. Eine fremde Stimme fragt zurück: „Wie wünschen Sie sich Ihren Tod?“ Ich habe einen altmodischen Wecker, der stolz zwei messingfarbene Schellen auf seinem Haupt trägt. Fast möchte ich sagen, der Wecker…

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Adel vergeht

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Der Adel ist mir zuwider. Und das, obwohl ich selbst eine Prinzessin war. Ich weiß, man sieht es mir nicht an. Die Knochen sind zu klobig und mein Teint gleicht eher einer alten Holzschüssel als feinem Porzellan. Aber wenn Sie es nicht zu genau nehmen, sieht mein Kinn nach Habsburg aus. Als ich noch ein Kind war, kutschierte mich der Großvater in einer knallroten Karosse über meine Ländereien. Nichts Besonderes freilich: Ein krummes Tal mit grauscharf gezackten Rändern am Übergang zum Himmel, durchschnitten von einem Fluss, dessen Wasser sich scheinbar träge und zäh durch sein Bett wälzte. Unter der meist…

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Das Fell

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Wie auch immer man die Dinge handhabt, irgendwo findet sich jemand, der etwas daran auszusetzen hat. Man muss sich nur Zeit nehmen und hartnäckig sein, am besten auch noch laut und reißerisch, denn unbemerktes Handeln bringt niemanden auf. Folge ich diesem Grundsatz, müsste sich doch auch jemand finden, der mir und meinen Taten frenetisch applaudiert oder wenigstens beifällig dazu nickt. Aber nichts da, von meinen Bewunderern fehlt seit Jahr und Tag jede Spur, mehr als ein Schulterzucken ernte ich nicht für meine Mühen. „Sie sind zu zögerlich, meine Liebe“, erklärt mein Berufsberater „Mehr Gekreisch, mehr Schrillen, Blöken und Tröten ist…

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