Literarisches

Der Luftzug und der Satz

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Einen Satz brauchte ich, ungefähr so groß, dass er bequem in meine Tasche passt, dass er, gegeben den Fall, ich würde ihn ganz klein schreiben, sogar auf einen Stecknadelkopf gekritzelt werden könnte. Die Stecknadel hätte Platz in einem meiner Ärmel, und bräuchte ich den Satz dringend, könnte ich ihn lesen. Bloß, wo sollte ich einen solchen Satz finden? Ich ging durch meine Wohnung und ein kalter Luftzug folgte mir. Wohin ich auch kam, er war schon da, oder überholte mich gerade, als ich die Türen öffnen wollte. Im letzten Zimmer angekommen, drehte ich mich blitzschnell um und stellte ihn zu…

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Reines Glück

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Graf von Karytz war unzufrieden. Er saß am Steg seines Anwesens, ließ die Beine baumeln und langweilte sich beim Anblick der Sonne, die im Ozean versank. Weder das prächtige Farbenspiel noch das Zischen der Verdampfungen am Horizont vermochten seine Begeisterung zu wecken, denn er hatte das Schauspiel schon hundertfach verfolgt. Auch der Branntwein schmeckte ihm nicht und die in Speck gewickelten Datteln verursachten ihm Sodbrennen, wenn er sie nur ansah. Einmal, dachte er, wenn man den Sonnenuntergang nur einmal sehen würde, dann könnte man sich daran freuen. Womöglich sogar zum ersten und einzigen und letzten Mal! Ein Bote kam zum…

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Geologie und Gotterfahrung

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Eine Gruppe Geologen steht in der Wüste und hat sich verirrt. Kommt ein Mystiker vorbei und fragt, ob er helfen könne. „Wir haben uns verirrt”, sagen die Geologen, „wo ist der Weg aus dieser Wüste heraus?” Der Mystiker schaut sie lange an und sagt dann: „Folgt der Wolke des Tages – und der Feuersäule nachts.” Dann lacht er, verschluckt sich, hustet feucht und geht. Zwei der Geologen werden wahnsinnig und schlagen einander tot. Ein Dritter wird schwermütig und hadert mit der Wissenschaft; der Vierte mit dem Mystiker. Keiner ist zufrieden, niemand glücklich. Da kommt der Mystiker zurück, er hat eine…

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Der Knochenturm

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Ich dachte, das seien Martinshörner gewesen, dabei war es das Heulen der Höllenhunde. Ich steckte kurz die Nase unter meiner Decke hervor und schnupperte nach Brandgeruch, doch nur vertrauter Schlafzimmermuff stieg mir in die Nase, also schlief ich weiter. Die Morgensonne beschien die leere Straße, als ich auf meine Veranda trat, und in der Ferne jammerten die Krokusse, weil keiner kam, um sie zu betrachten. Ich wusste gleich, dass niemand mehr da war, denn ein unendliches Bedauern lag in der Luft. Neugierig spazierte ich durch die Stadt, aus der nicht nur alles Leben, sondern auch die Türen verschwunden waren. In…

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Exklusio

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„Eine Erdbeere wollte Fußballspielen …“ Ich wünschte, ich könnte sagen, dass meine gekrönte Zuhörerin gebannt meinen Worten lauschte, aber dem war nicht so: Sie zappelte und hampelte auf ihrem Stuhl, stand auf, ging um den Stuhl herum, schob umständlich das karierte Sitzkissen zurecht, setzte sich wieder, um weiter zu hampeln und zu zappeln. Dessen ungeachtet versuchte ich meine Geschichte fortzuführen: „Eine Erdbeere wollte also Fußballspielen …“ „Aber eine Erdbeere hat doch gar keine Beine!“ Empört schaute sie mich an, stand wieder von ihrem Stuhl auf und schlug mir mit einem zusammengerollten Sachkundeschnellhefter ins Gesicht. „Du sollst Geschichten erzählen, die wahr…

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Kein Keller Einsamkeit

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Wenn man die Straße entlang geht, bis die Abstände zwischen den Laternen größer werden und dann noch ein Stückchen weiter, findet man linker Hand ein Gebäude mit rußgeschwärztem Mauerwerk. Die Fensterscheiben sind stumpf und die Bewohner möchte man nicht zu sich nach Hause einladen. Wer sich davon nicht abschrecken lässt und auch noch den Mut findet, die vom Moos glitschige Treppe in den Keller hinabzusteigen, durch den nach alter Kohlsuppe riechenden Gang zu gehen und eine unappetitliche Türklinke herunter zu drücken, der gelangt in die Küche der Witwe Finsterthaler. Über die Witwe erzählt man sich so einiges. Manche sagen, sie…

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In bester Gesellschaft

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Die Bürger stehen und reiben sich die Augen. Die Finsterfischer, ihre natürlichen Todfeinde, schmarotzen der Bürger reiche Einfalt und spenden süße Furcht als Zeitvertreib in Form von Schmeichelreden. „Hört, ihr Menschen,“ hört man sie sagen, „wer stets auf Flaum geschlafen, der ist auf Steinen bös‘ gebettet.“ Das Bild der Finsterfischer stets verschwommen: Ein Motto hier, ein Sinnspruch dort, an vielen Stellen sattes Schweigen. Und immer wieder wird den Bürgern eingeflüstert, dass ihre Bürde eigentlich Symbiose sei.

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Das Birnenmännchen

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Nachts in die Sterne starren, bis einem die Augäpfel gefrieren. So weint man keine Träne. Was will man mehr? Der Wind soll einem das Haar zausen, aber mit Bedacht. Mit Rosen bedacht sogar. Ein mit Näglein bestecktes Kind begehrt zu wissen, warum es verlassen wurde. Der Schlaf sitzt in einer Ecke und schmollt. Auf seiner Schnute kann man schaukeln bis zur Erschöpfung, das wird ihn nicht milde stimmen. Hätte man einen eigenen Wirt, könnte man sich Humpen für Humpen in die Kehle gießen, bis man einen kugelrund schwappenden Bauch bekäme. Auf dem könnte man trommeln und damit Geister aus den…

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Ein Biss in den Himmel

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Heute bin ich wohl Hyperion, der Sonne Sohn. Ich harre aus, versenge die sieben Haare, die mir blieben. Ich will, sagst du und meinst es nicht. Ich will den Boden unter allen Füßen spüren. Ich will, dass Launen mich aus meinen Tälern führen. Ich will halt das Gesamtpaket. Ich will, dass immer jemand vor mir steht und zeigt, wie’s weitergeht, wenn’s weitergehen muss. Jetzt: Schluss. Und wenn es dann zu Ende ist, man schnell die Intention vergisst, warum man überhaupt mal angefangen hat zu husten. „Wir haben ein Problem“ als Echo vergessener Zeiten. „Jetzt werden andere Saiten aufgezogen, vom rechten…

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Der Krieg und der Kohl

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Schnurgerade klebt die Straße auf der Erde und schneidet das Land in zwei Hälften. Links und rechts liegen bis zum Horizont Kohlköpfe in ordentlichen Bahnen und neigen die Häupter beschämt zur Seite. Das muss die weite Welt sein, von der man überall liest. Gebeine und Tod und Gräben und geschundenes Land haben die Menschen in ein Tohuwabohu gestürzt. Daraus wuchs der Wunsch, dem Grauen der Friedhöfe die harmlose Langweiligkeit nicht enden wollender Reihen von Kulturpflanzen entgegenzusetzen. Für jeden Gefallenen ein Kreuzblütler. Es drängt mich, die Kohlköpfe durcheinander zu wirbeln oder ein paar Palmen dazwischen zu Pflanzen, denn wo Palmen sind,…

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