Literarisches

Umgang und Verständigung Teil III – Die Conclusio

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„Ich finde“, sagt der Regisseur, „wir sollten dem Gorilla, um seine Urwüchsigkeit zu unterstreichen, einen Schurz aus Leopardenfell geben. Um dem Publikum Handhabe zum Verständnis der komplexen Umstände auf der Bühne zu bieten.“ Er schaut sich im Kreis seiner Mitarbeiter um. „Gibt es irgendwelche Einwände?“ Die Frauen aus der Kostümabteilung blicken betreten zu Boden. „Gut“, sagt der Regisseur. „Dann herrscht zumindest in dieser Frage Einmütigkeit. Ich werde mich jetzt zurückziehen und noch einmal in den Text vertiefen. Das Wortmaterial sichten und eingehend prüfen. Es versteht sich von selbst, dass ich dabei nicht gestört werden will.“ Vor der Garderobentür erwartet ihn…

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Alles wie immer

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„Seit Jesus kommt ja jeder in den Himmel“, beschwerte sich der alte Haudegen bei Lotte Pelzfuß, als er die Füße in den Zuber stellte. Kurz bevor sie im Dampf verschwanden, wackelte er mit den Zehen. Lotte Pelzfuß unterdrückte ein Würgen. Alles wie immer. „Jedes Mal, wenn es um lustige Ortsnamen geht, wird ‚Futbogen‘ erwähnt.“ Der Alte lachte und das Wasser im Bottich schwappte bis zum Rand. Lotte fragte sich, wie oft man wohl über lustige Ortsnamen sprechen musste, damit ein „jedes Mal“ angebracht war. Der Alte stubste sie mit dem Handrücken an die Hüfte, als wollte er sie wecken. „Futbogen“,…

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Fälschung & Original

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Frau im Matrosenkleid wiegt sich zu einer Melodie im Dreiviertel Takt. Mann sitzt auf einem Küchenstuhl und zieht sich die Schuhe aus. Frau: Gefallsucht, Eitelkeiten und ’ne Buddel voll Rum. Ein Sehnen, das in mir liegt und nach der Weite des Ozeans weint. Mann: Geh, hol mir ein Glas Bier! Oder bring gleich die Flasche – ich habe einen Mordsbrand. Frau geht in die Küche. Mann schaut ihr hinterher, zieht die Socken aus, streicht sie auf dem Oberschenkel glatt und rollt sie zu einem Ball zusammen. Frau: Die Rhythmik des Wellengangs, die Frequenzen der Strömung. Alles fließt – alles ist…

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Frühstück mit Munch

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Das Meiste im Leben ist gemischt. Die Leute sagen, „Da fühlt man sich wie zu Hause“ und schon will man nicht hin. Heute morgen fand ich Edvard Munch in meiner Kaffeetasse. Erst habe ich mich gefreut, nicht mehr allein zu sein, aber er wurde gleich unangenehm. Er trug einen Stock, mit dem er überall gegen schlug, um zu prüfen, ob die Dinge Bestand hätten. Hatten sie natürlich nicht. Sie zerplatzten, wie Pusteblumen aus Angst oder liefen davon und ließen Empörung und Bedauern zurück. Einzig ein angefangener Alexandriner hielt stand und sang voller Trotz Spottverse aus meinen Kindertagen. Edvard Munch wurde…

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Stammvaters Söhne

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Ein Musste-Sehen, der Ort zu sein. Nein, DER Ort, wo man gewesen sein muss. Der Ort, an dem die Zeit einst stehenblieb. Haste nicht gesehen, haste echt noch nichts gesehen. Und wenn in deinem Leben du nur einen Ort noch sehen könntest, wähle diesen! Weiterbetrieb wie Wetterbericht wie Erbenverzicht wie des Bruders Lieblingslinsengericht, schon wird aus Zweit- die Erstgeburt. Kennt jemand die geheime Zutat? Ich verwende Federstrich und Nackenschlag, erhöhe den Takt, das Denkvermögen und Vaters Erbe ist jetzt meins. Und wenn der alte Patriarch erst stirbt, der jüngste Sohn das Grab bewirbt: Kommt nach Hebron, seid da oder bereut…

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Eschaton

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In der Bahn nimmt Frieda Pelzfuß am liebsten den Platz am Ende des Waggons. Letzte Reihe in der Mitte. Die Sitzfläche ist etwas schmaler als die der Bänklein für zwei Personen, so dass man alleine viel Platz hat, aber nicht genug, um einen Sitznachbarn fürchten zu müssen. Frau Pelzfuß hat das Großraumabteil im Blick: Fahrscheinkontrolleure, herumalbernde Schüler, Mütter mit Kinderwagen, Sittenstrolche und Trunkenbolde. Sie bemerkt jeden. Ein junger Mann in einem Laborkittel steigt zu. Er führt einen großen, dicken Hund an einer Leine. Das Tier trägt einen Sprengstoffgürtel, das ist bei der Jugend der letzte Schrei. Der Hund legt sich…

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Umgang und Verständigung Teil II – Der Neue

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Der Regisseur geht mit einem neuen Schauspieler durch das halbdunkle Theater. Regisseur: Was kann ich über die Rolle sagen? Es ist nur ein ganz unbedeutender Part. Drei, vier Absätze. Kurze Wörter. Geläufige Sprache. Na ja, anspruchsvoll in der gebückten Haltung, die man die ganze Zeit einnehmen muss. Und im Gorillafell wird es ziemlich heiß, ziemlich schnell. Eigentlich ist die Rolle meinem Neffen versprochen, aber, ganz unter uns, ich traue sie ihm nicht zu. Der Junge übertreibt es immer. Zu groß die Gesten, zu laut die Stimme. Währenddessen wartet sein Neffe darauf, dass er aus einem Käfig auf der Bühne befreit…

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Ish-Ak

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Ich habe eine Prinzessin gekannt. Mit Augen, die glühten oder sprühten oder Funken stiebten, je nachdem, wie die Prinzessin es gerade wollte. Sie war außergewöhnlich dick und jedes Gramm ihres Gewichts in Gold und Juwelen wert. Wer immer in ihre Nähe kam, konnte nicht lange Trübsal blasen. In ihrem Garten lebte ein Pferd mit goldenem Fell und schwarzer Mähne. Eins seiner Augen war für die Welt verschlossen. Mit ihm betrachtete es aufmerksam das Universum, während es den Gesängen der Prinzessin lauschte. Eine Göttin fand gefallen an den beiden und wollte sie bei sich haben. So erschien sie eines Abends in…

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Im Tal oder Wer gar zu viel bedenkt, wird wenig leisten

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Als der obrigkeitshörige, sprichwörtliche Kleine Mann eines Tages der Statue des hiesigen Landvogts durch die vorschriftsmäßige Verbeugung und den seit Generationen überlieferten Gruß ‚Gebenedeit seiest du unter den Landvogten’ seine Ehrerbietung dargebracht hatte, fiel ihm der unangenehm kotige Geruch auf, welcher der bronzenen Plastik entströmte. „Nanu“, sagte er erschrocken zu sich, „was ist denn das? Warum verbreitet der Landvogt diesen Gestank? Es wird ihm doch nicht etwa missfallen hier bei uns, in unserem schönen und sicheren Tal?“ Der Gestank, so schien es dem Kleinen Mann, gewann mit jedem Atemzug an Intensität. Der Kleine Mann kämpfte gegen einen Brechreiz an. Aus dem…

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Abends bei Familie Pelzfuß

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Die Holzscheite knackten im Kamin und die Flammen warfen mit tanzenden Schatten um sich. Frau Pelzfuß erhob sich aus dem Lehnsessel und streckte sich. „Was hast du denn da für einen Leberfleck?“, fragte Hubert, ihr Mann, und ließ vor Schreck den Schürhaken fallen, mit dem er seit Minuten in der Glut gestochert hatte. Frau Pelzfuß legte die Finger an eine Stelle am Hals, knapp unter dem Ohr. „Ach, das ist nur eine Reflexion des Feuers“, wehrte sie lachend ab. „Nein!“, widersprach Hubert. „Das ist der Hautkrebs! Ich weiß, dass es der Hautkrebs ist.“ Er sprang auf und stürzte auf seine…

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