Literarisches

Étude

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Ich vermute, und es ist nur eine ganz unwissenschaftliche Ahnung, die ich manchmal in einsamen Stunden für mich hege, dass meine Vorgesetzte eine Schwäche für mich hat und pflegt. Sagen wir doch, wie es sich mir darstellt: Sie himmelt mich an. Wenn ich, über mein Mikroskop gebeugt, meiner Arbeit nachgehe und ihren Atem in meinem Nacken spüre, pimmelt es in meiner Hose. Das ist meist ein deutlicher und beweiskräftiger Indikator. Sie lässt mich gerne länger arbeiten. Die Wissenschaft verlangt Opfer, sagt sie mit Blick auf die Ausbeulung unter meinem knappen Kittel. Unter der Linse meines Mikroskops wimmelt es: Pantoffel- und…

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Gewissen

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Durch den verschneiten Wald läuft ein Rehlein. Es ist noch klein, mit weißen Tupfen auf dem Rücken. Aber nicht mehr so klein, dass es nicht zurecht käme. Es weicht den Schneeflocken aus. Das Rehlein ist auf der Suche nach einem Gefährten. Es wünscht sich einen Dachs. Ein grummelnder Dachs mit schlechter Laune und tiefen Gedanken soll es sein. Bald findet es einen Bau und klopft mit dem Paarhuf an einen Ast. Der Dachs guckt durch den Türspion. Rehe mag er nicht. Da es aber schon spät ist und bald die Jägerin auftauchen wird, öffnet er und lässt das Rehlein ein….

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Studie über Kurzschlüsse & Kernschüsse der Seele oder: Das Wandellose Licht wob einen Schleier

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Prolog: Sagt er zu ihr: „Iss mal sinnlich ’ne Tomate!“ „Wie ist es denn so?“, fragt sie ihn und lächelt verführerisch. „Jeden Tag ein bisschen besser. Jeden Tag ein bisschen mehr.“ Sprachkörper 1: Das Weben hat seine Aktualität in dem Gewebten Stereotyp die Antwort, stereotyp das Gefühl. Erst einmal neue Rituale schaffen; Automatismen müssen greifen. Und dann wieder Zeiten – manchmal Minuten, manchmal Stunden – in denen sich das Innere Ich in seine Einzelstimmen zerfasert. Wohlmeinende, hofft man inständig, denn sie sind einem doch recht nahe. Sie zu verlachen würde nicht helfen, wäre wohl als Zeichen an die Außenwelt, als…

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Zahlen

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Frieda Pelzfuß mag Zahlen. Zweihundertundacht zum Beispiel. Man kann sie mit Ziffern hinschreiben oder mit Buchstaben. Je nachdem wohnt eine unterschiedliche Logik in ihnen; oder, besser gesagt, die Logiken wohnen gemeinsam darin und schauen je nachdem zum Fenster heraus. An und für sich ist Frau Pelzfuß keine Freundin der Logik. Sie schätzt das Zwingende nicht. Wer wird schon gerne gezwungen? Manche, ja, die richten sich das so ein, dass sie den lieben langen Tag nicht überlegen müssen, was als nächstes zu tun ist, weil ein Zwang auf den anderen folgt. Das hat auch etwas für sich, erspart es einem doch…

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Der Zöllner

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Am alten Zollhaus traf Herr Domino den Zöllner. Der hatte den ganzen Tag Beutel geschnitten und die Hand aufgehalten – der Zöllner war müde, das sah Domino auf Anhieb. „Ach, man wird nicht jünger!“, sagte der Zöllner in einem Anflug von Sentimentalität. „In den guten, längst vergangenen Tagen konnte ich die Beträge und Einnahmen im Kopf ausrechnen, stundenweise, tageweise – ja, ich hatte sogar die Summen der Wochen im Kopf. Heutzutage, wenn auch nicht erst neuerdings, bin ich auf ihn hier angewiesen.“ Er zeigte auf ein zerrupftes Wesen, dem Augenschein nach ein Nagetier. Domino sah, dass es in keinem guten…

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Altweibersommer

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Frieda Pelzfuß denkt nicht gern an ihre Schulzeit zurück. Gewiss, nicht alles war schlecht gewesen. Anderswo und anderswann hatte es Menschen schlimmer getroffen und es gab keine Landminen auf den Gängen. Mit etwas Sinn für Verhältnismäßigkeit hätte Frieda in zuckrigen Erinnerungen schwelgen können. Leider fiel ihr immer als erstes der schwitzende Kaplan ein, der einem in den Nacken atmete und ganz aufgeregt wurde, wenn er einem das Ohr verdrehte. Und die Direktorin, wie sie morgens am Treppenabsatz den Zuspätkommenden auflauerte. Wenn sie einen an den Haaren gepackt hielt und schüttelte, klingelten die vielen dünnen Goldreifen an ihrem Handgelenk wie Schlittenglöckchen…

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Endzeit

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An einem anderen Tag – das Wetter war dem heutigen nicht unähnlich – saß ein Vogel auf der Spitze meiner Fahnenstange und schaute mich vorwurfsvoll an. Was habe ich denn jetzt schon wieder verbrochen, dachte ich, warum hassen mich bloß alle Geschöpfe unter Gottes weiten Himmeln? Der Vogel wendete seinen Blick nicht von mir ab, mir wurde kalt und warm. Das ist bei dieser wechselhaften Wetterlage immer ein Problem: In der einen Sekunde brennt die Sonne heiß, dass man sich das Federkleid vom Leib reißen möchte, in der nächsten hagelt es kindskopfgroße Körner und keine Fahne der Welt ist groß…

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Behalten

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Ich drücke auf den Knopf. Durch die Gummierung des Türrahmens höre ich das gedämpfte Schnarren des Signaltons. Gleich wird jemand eintreten und das gemischte Gefühl von Müdigkeit und Aufregung hereinbringen, das durch langes Warten entsteht. Mir bleibt nur ein kurzer Augenblick, während die im Wartesaal stundenlang Zeit haben sich vorzubereiten. Wochenlang können die Leute sich mit ihren Formularen beschäftigen und eine Rede auswendig lernen. Ich habe nur einen Moment der Ruhe, dann muss ich bereit sein für was auch immer sie wollen. Schlechte Laune und Machtlosigkeit setzen sie mir vor und erwarten im Gegenzug, dass ich freundlich bin und voller…

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Umgang und Verständigung Teil III – Die Conclusio

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„Ich finde“, sagt der Regisseur, „wir sollten dem Gorilla, um seine Urwüchsigkeit zu unterstreichen, einen Schurz aus Leopardenfell geben. Um dem Publikum Handhabe zum Verständnis der komplexen Umstände auf der Bühne zu bieten.“ Er schaut sich im Kreis seiner Mitarbeiter um. „Gibt es irgendwelche Einwände?“ Die Frauen aus der Kostümabteilung blicken betreten zu Boden. „Gut“, sagt der Regisseur. „Dann herrscht zumindest in dieser Frage Einmütigkeit. Ich werde mich jetzt zurückziehen und noch einmal in den Text vertiefen. Das Wortmaterial sichten und eingehend prüfen. Es versteht sich von selbst, dass ich dabei nicht gestört werden will.“ Vor der Garderobentür erwartet ihn…

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Alles wie immer

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„Seit Jesus kommt ja jeder in den Himmel“, beschwerte sich der alte Haudegen bei Lotte Pelzfuß, als er die Füße in den Zuber stellte. Kurz bevor sie im Dampf verschwanden, wackelte er mit den Zehen. Lotte Pelzfuß unterdrückte ein Würgen. Alles wie immer. „Jedes Mal, wenn es um lustige Ortsnamen geht, wird ‚Futbogen‘ erwähnt.“ Der Alte lachte und das Wasser im Bottich schwappte bis zum Rand. Lotte fragte sich, wie oft man wohl über lustige Ortsnamen sprechen musste, damit ein „jedes Mal“ angebracht war. Der Alte stubste sie mit dem Handrücken an die Hüfte, als wollte er sie wecken. „Futbogen“,…

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