Kurzgeschichten

Hartmut und die Liebe

By

Hartmut Pelzfuß haderte mit der Liebe. Schon immer, wenn er ehrlich war und das war er. Zumindest bemühte er sich redlich darum. Als junger Mensch hatte er freilich hin und wieder Leidenschaft verspürt, doch war diese stets flüchtig gewesen und es hatte nie lange gedauert, bis sich beim Objekt seiner Begierde allerhand unangenehme Kleinigkeiten einstellten, die mit spitzen Zähnchen an seiner Begeisterung nagten. Hartmut erinnerte sich deutlich an ein Mädchen mit raspelkurzem Haar, blitzenden Augen und kolossalem Hintern. Wenn er ein wenig in seiner Erinnerung kramte, konnte er noch ihre Küsse schmecken, eine Mischung aus Apfelsaft und Gewitter. Wenn sie…

Read More

Das Erbe der großen Wirklichkeit

By

Der letzte Mensch auf Erden ruft dem Baum vor seinem Fenster Unflätigkeiten zu, Schmelz in der Stimme und Spelze zwischen Zahnfleisch und Schneidezahn. Der Widerhall kommt postwendend: „Willst du einen Job, eine sinnvolle Betätigung, dann stelle dich in die Mitte deines Wohnzimmers, beuge dich vor und warte darauf, was passiert!“ Da realisiert der letzte Mensch auf Erden, dass auch die heimische Flora nicht alle Antworten kennt, eine Erkenntnis, die ihn zum Zahnstocher greifen lässt, jetzt, da alles auf ein rasches Ende hindeutet. Wie bekomme ich meine Zähne wirklich sauber, so kurz vor Schluss? Und Erinnerung an Emily, die noch einmal…

Read More

Am Lagerfeuer – eine Herbstgeschichte

By

Woody Allen, Uri Geller, Uriella oder irgendein anderer Spitzbold, Scharlatan und Aushilfsheiratsschwindler wollte Stockbrot essen, diesen faden Haufen Teig, um Holz geklatscht. Uri Geller ließ uns die Löffel in den Händen schmelzen und rief: „Seht den Habicht über unseren Köpfen kreisen. Wollt ihr so sein wie er, wie ich? Ich bin der Habicht und ihr? Ihr nicht.“ Woody Allen schaute betroffen, uns standen die Münder offen, die Löffel waren unbrauchbar. Uriella blinzelte verschwörerisch und blickte jedem einzelnen von uns auf die von Raureif geröteten Nasen. „Es werde Licht!“, rief sie und wir, die wir um die Feuerstelle kauerten und knieten,…

Read More

Schuld und Seuche oder: der verlorene Sohn

By

Roman Pelzfuß wurde im zweiten Seuchenjahr geboren. Da dachte man noch, alles würde vorüber gehen, wenn man nur brav wäre und aufeinander Acht gäbe. Oder man lief brüllend durch die Straßen, weil man ein Elend mit Gesicht und nachvollziehbaren Zielen wollte. Man wünschte sich das Früher, aber zu früh sollte es nicht sein, denn da war alles noch schlimmer als heute. Die Brüller wurden von den Wasserwerfern fortgespült und die Folgsamen versteckten sich zu Hause hinter ihren Vorräten. Zurück blieb eine dumpfe Panik, die allen gleichermaßen in die Knochen kroch und darüber versprühten die Jumbojets einen feinen Regen aus Schuldzuweisungen….

Read More

Exclamatio

By

An der ersten Tür gebe ich die Jacke ab, an der zweiten ziehe ich meine Schuhe aus. Im Gebäude sind weder Gürtel noch Schnürsenkel erlaubt. Die Verordnung als Motto an der Wand: Tragen Sie bei zu unser aller Sicherheit! Überraschen Sie uns, überraschen Sie sich, leisten sie keinen Widerstand, leisten Sie sich stattdessen den Luxus hingebungsvoller Unterwerfung! Und lang ist mir die Luft ganz still geblieben, ich musst es wohl – wie alle anderen auch – ertragen. Warum haben Sie so lange nicht geschrieben? Ich hatte nichts zu sagen. Im Gang, auf einem unbequemen Stuhl, sitze ich vor der verschlossenen…

Read More

Sicher ist sicher

By

Nichts ist so grässlich wie der Klang einer Oboe im Nebel. Vielleicht meine ich auch ein Fagott. Dieses kläglich hupende Ding jedenfalls. Einem vermummten Kalb gleich, das seine Mutter nicht mehr findet, selten zu hören, denn die Hubschrauber brüllen darüber hinweg. Die zerschneiden die Nacht mit ihren Suchscheinwerfern, doch es gibt nichts Besonderes zu entdecken. Aber wer weiß, man muss dennoch nachsehen. Zwischen den gleißenden Dreiecken schreiten schneidig meine Füße dahin, während ich selber mich Zuhause verstecke. Ich bewache meine Gedanken, denn ohne Aufsicht wachsen sie sich schnell zu arglistigen Plänen aus, zu deren Ausführung es mir letztendlich an Verwegenheit…

Read More

Anders nach Nirgendwo

By

„Vorerst letzte Fahrt: Alles einsteigen, zurückbleiben bitte!“ hallt die Stimme elektrisch verstärkt über den Bahnsteig. „Wer jetzt keinen Zug hat, bekommt keinen mehr und wird es schwer haben.“ Die Mitmenschen nehmen die Ankündigung gelassen hin. Entweder fühlen sie sich nicht angesprochen oder sie sind ob der täglichen Einschüchterungs- und Demotivationsversuche seitens der Mächtigen bereits so abgestumpft, dass sie erst bei Stockschlägen, Elektroschocks und anderen Formen körperlicher Züchtigung eine Reaktion zeigen würden. „Bitte haben Sie Verständnis! Wir bitten Sie um Verständnis! Um Ihr Verständnis!“ Passagier M361 kann kein Verständnis aufbringen, er schafft trotz großen Aufwands und einiger Mühe nicht, es zutage…

Read More

Der Unterschied

By

Wie man sich dreht, so wendet man sich. Da geht es mir nicht anders als euch. Das kann also nicht der Unterschied sein. Im Großen und Ganzen sehe ich euch ähnlich. Beine, Arme, Gesicht, Bauch – alles da. Ich habe Hunger, Durst und schlechte Angewohnheiten, bekomme kalte Füße und morgens schmeckt es schal in meinem Mund. Beim Küssen schlägt das Herz wie die Hufe eines Wildpferds im Galopp. Ich langweile mich bei mittelklassigen Fernsehkrimis und auf dem Flur der Behörde rede ich beruhigend auf mich ein, als sei ich ein Ferkel auf dem Weg zum Metzger. Obwohl auf die niemand…

Read More

Nicht-Ich und Kaum-Ich begegnen sich

By

Kaum-Ich: Sagen Sie mal, kenne ich Sie nicht irgendwoher? Nicht-Ich: Mich? Hm, warten Sie, stimmt! Ich meine auch, ich hätte Sie schon einmal gesehen. War es nicht auf einem ausgelassenen Frühlingsfest, umsäumt von Jungfrauen? Kaum-Ich: Nein, in mir ist ewig Herbst. Sie müssen sich täuschen. War es nicht vielmehr bei der Einweihung eines bedeutenden Gebäudes oder auf dem Sommerempfang des Präsidenten, wo wir uns zum ersten Mal begegneten? Nicht-Ich: Das ist gut möglich. Trugen Sie nicht einen zahmen Feldhasen in einer offenen Tragetasche aus Lederimitat auf dem Arm? Ein Feldhase, der damals die Blicke aller anwesenden Damen anzog? Standen Sie…

Read More

In der Zwischenzeit

By

Die Vergangenheit und die Zukunft sind Stühle und ich sitze dazwischen. Das ist nicht bequem, aber so bin ich eben gemacht. Ich rutsche ein wenig hin und her, um den Abstand zwischen den Sitzgelegenheiten zu vergrößern, um irgendwann eine Hängematte dazwischen aufhängen zu können. Man braucht Ziele im Leben. Eine Hängematte macht doppelt so viel Arbeit wie ein Galgen. Den Galgenstrick befestigt man einfach mit einem ordentlichen Knoten an der Vergangenheit, da wird nichts wackeln oder in sich zusammenfallen. Die Zukunft dagegen: Auf dünnen Beinchen steht sie da, wie ein neugeborenes Pferd und ebenso bereit, einen Satz hierhin oder dorthin…

Read More