Kurzgeschichten

Morgengrauen

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Theo Klammheimer sitzt in der Dunkelheit und hält ein dick belegtes Wurstbrot auf dem Schoß. Das Knurren seines Magens scheucht ein kleines Tier im Unterholz auf. Nicht direkt im Unterholz. Eher im Gestrüpp. Er vermutet einen Igel, aber so genau kennt er sich mit Tiergeräuschen nicht aus und sehen kann man gar nichts. Das Tier nähert sich. Theo hält den Atem an. Das ist ihm noch nie passiert. Seit 17 Jahren sitzt er jede Nacht im Hof auf seinem Hocker und wartet auf den Sonnenaufgang, um sein Frühstück im ersten Morgenlicht einzunehmen. Noch nie hatte er dabei Gesellschaft und der…

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MB präsentiert – das Ende der Welt

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Martin Buber, verkleidet als Jesaja oder Darwin oder Marx, stand auf dem Rathausplatz und kraulte sich den Bart. „Höret!“, predigte er den Passanten . „Höret und bereuet euer Tun! Der Herr spricht, und ihr wisst es wohl, habe ich es euch schon zwei Dutzend Mal verkündet: Das Ende ist nah!“ Die empfänglicheren unter seinen Zuhörern schauten verängstigt zu Boden und erschauerten in fast wollüstiger Furcht. Mancher Vater hielt sein Kind im Arm und wiegte es hin und wieder her. Martin Bubers Augen blitzten im Sommersonnenlicht als Boten der Vergänglichkeit. „Wehret dem Widersacher, denn sein Reich ist nur auf Quarz gebaut!“…

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Ein deutscher Hund

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Thea Pelzfuß steht im Schatten eines Laubbaumes und schaut den Hunden auf der Wiese zu. Aufgeregt springen sie umher und jagen einander nach. Kläffen, Bellen, Knurren und Hecheln überall. Sie wollte den Singvögeln zuhören, aber daraus wird wohl nichts. Ein bärenartiges Tier kommt auf sie zugerannt. Thea Pelzfuß ist beunruhigt. Soll sie ein Stück Wurstbrot als Zeichen ihrer Friedfertigkeit anbieten? Freundlich lächeln oder versteht der Hund das als Zähnefletschen und wird von Blutdurst übermannt? Jedenfalls darf man keine Angst zeigen. Was aber zeigt man stattdessen? Bevor Thea mit ihren Gedanken ins Reine kommt, erscheint ein Mann in blauem Sportanzug und…

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Bartscherers Wirklichkeit

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„An Tagen wie diesen, klagt der Wind, weint das Kind, jault ein Hund und …“ „Halt ein!“, flüstert der Barbier mir ins Ohr. „Ich glaube, vor dem Fenster steht ein Lauscher, ein Schauer.“ In der Tat, der Figaro lügt nicht: Ein Mann, so breit wie hoch, drückt sein feistes Antlitz gegen das Glas. „Na, dann viel Spaß!“, brüllt der Friseur nach draußen, schüttelt die Hände, gerade wie man Geschmeiß verscheucht. Der dicke Mann lächelt tumb und hebt seinerseits die Hände. Er hält einen Minigolfschläger, holt aus und zerschmettert die Scheibe des Salons. „Da hammwa den Salat!“, entfährt es wie ein…

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Durch den Kopf

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Früher oder später probiere ich die meisten Dinge aus. Besonders, wenn etwas mich ängstigt oder mir aus unerklärlichen Gründen zuwider ist. Irgendwann später, wenn ich gestorben bin, werden die Leute über mich sagen: Zumindest hat sie es probiert. Sofern die Leute dann noch über mich reden. Ich weiß ja nicht mal jetzt, zu meinen Lebzeiten, ob über mich geredet wird. Nicht, dass es mich kümmern würde. Nicht, dass es mich nicht kümmern würde. Manchmal kommt man zur Tür heiren, und es heißt: Gerade haben wir von dir gesprochen. Oder umgekehrt, spricht man über jemanden und derjenige kommt augenblicklich zur Tür…

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Frühstück

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Hubert Salpeter wusste, dass seine Zeit abgelaufen war, denn er wollte kein Geld mehr ausgeben. Als er am Frühstückstisch zu seiner Frau sagte: „Liebling, ich will kein Geld mehr ausgeben“, erwiderte sie Brote schmierend, dass er sich gerne in der Gießkanne bediene möge, sie verwahre dort das Haushaltsgeld. „Du verstehst nicht, was ich meine“, sagte Hubert Salpeter. „Ich will nicht nur mein Geld nicht ausgeben – das Prinzip, fremdes Geld auszugeben ist ja weitverbreitet und gesellschaftlich konform – ich bin, wie du weißt, nicht geizig, ich will überhaupt kein Geld mehr ausgeben: meines nicht, deines nicht. Gar keins, verstehst du?“…

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Stimmen

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Wenn man sehr jung ist und die Knochen noch weich, glaubt man, alles sei möglich. Die Leute erzählen Geschichten. Von haarigen Biestern mit Reißzähnen, die sie vor langer Zeit gezähmt haben wollen und nun an einem Schnürchen spazieren führen oder von einem Zauberkasten, mit dem man in Sekunden die Rückseite des Mondes betrachten kann oder von winzigen Wesen, die im eigenen Körper die Luft von einem Ende zum anderen tragen oder von einem Mann ohne Augen, der in einer Besenkammer haust, ein schwarzes Gewand aus grober Wolle trägt und einem Unaussprechliches antut, wenn man nicht folgt. Man stolpert durch die…

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Das alles klingt nach einem Becher Urin vom Hund

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Man stelle sich vor, man stellt sein Rad dort ab, wo gerade noch der Hund – und nicht zu knapp. Da wird einem ganz matschig unter den Sandalen. Jetzt tanzen die Zehen feuchten Cha-Cha-Cha in dieser lauen Frühlingsnacht, zu dieser blauen Stunde. Fluchen und ein Kramen und ein Suchen in verblichenen Erlebnissen – Protokoll einer vergangenen Verhandlung: „Und warum mussten Sie dem armen Hund den Kehlkopf eindrücken? Hätten Schimpfen, Klagen und Verdammen nicht gereicht, um Ihren Unmut über das von ihm begangene Vergehen zu bekunden? Und überhaupt, wo hätte er denn Ihrer Meinung nach seine Notdurft verrichten sollen, wenn nicht…

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Der Kopf ist voll

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Mascha ist die älteste der Pelzfuß-Schwestern. Auf den ersten Blick denkt man das nicht. Müsste man als Unbekannter die Geschwisterschar dem Alter nach in einer Reihe aufstellen, befände sich Mascha irgendwo in der Mitte. Tatsächlich ist sie über tausend Jahre alt und das sieht man ihr wahrhaftig nicht an. Ihr Kopf ist zum Bersten gefüllt mit Erinnerungen, da gibt es keinen Platz zum Schmieden von Plänen, seien sie auch noch so kurzfristig. Dennoch stellt sich Tag für Tag eine frische Zukunft ein, voller Vorkommnisse und Überraschungen, die nach allzu kurzer Gegenwart Raum im prallen Schädel beanspruchen. Zu jedem Ereignis, sei…

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Jenseits von Grimm

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Ich ziehe die Stadt mir aus der Nase, Stück für Stück und alle Brocken einzeln. Einen Hauch von ihm, einen Anflug von ihr, ein wenig Alexanderplatz zerreibe ich zwischen kleinem Finger, Daumen und schnippe die Stadt in hohem Bogen von mir fort. „Hey, haste nix zu tun?“, ruft man mir zu. „Nix Besseres?“ Ich ziehe bedauernd einen Flunsch und äußere den Wunsch, die Welt möge sich für mich von außen her verbessern. Und Hilfe naht in Gestalt einer schlecht als Händlerin verkleideten, jungen Frau. „Schöne Ware feil! Schöne Ware, kauft schöne, schöne Ware!“ „Was hast du denn in deinem Korb,…

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