Kurzgeschichten

Seht mich den Inhalt eures Schädels schänden

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„Wir treffen uns im kleinen Kreis. Nicht mehr als zehn Personen.“ Walter Steinbeißer unterbreitet den Freunden seine Ideen für den nächsten Auftritt. „Ich werde ein paar Gedichte vortragen, vielleicht ein Lied oder zwei zum Besten geben. Kuchen und Getränke. Eine runde Sache.“ Georg, seines Zeichens Freund und Kupferstecher, ist nicht überzeugt. „Aber nicht, dass alle wieder nur so hipstermäßig abhängen und Englisch quatschen.“ Er spuckt vor Abscheu auf Steinbeißers Teppich und wischt sich wichtigtuerisch mit dem Handrücken den Mund ab. „Wenn man nicht einmal in der Hauptstadt, also der besten und wichtigsten Stadt, die Landessprache verwendet, ist der Untergang nicht…

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Rede des Großen Biestes an die Vereinten Nationen

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„Ich will, dass alles Egozentrische in oranges Neongrell getränkt erscheint. Damit ihr seht, in welchem Zustand die Welt ist. Die Augen würden euch aus dem Kopf fallen. So zahlreich, dass man auf den Gehwegen knöcheltief in Augäpfeln würde waten müssen, wollte man sich ein Laib Brot aus der Bäckerei holen. Da würde man lieber online bestellen. Das geht aber nicht, weil man augenlos blind voller Verzweiflung durch die Welt taumelt und wieder und wieder der Länge nach auf dem Augapfelteppich hinschlägt. Insgesamt also eine deutliche Verbesserung zum gegenwärtigen Zustand der Welt. Sie sehen! Mein Problem ist, dass nichts von alledem…

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Keine Liebesgeschichte

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„Um eine vernünftige Geschichte über das Nichts zu verfassen, braucht man einen unverstellten Blick auf die Dinge. Erst wenn man alles vor Augen hat, erkennt man, dass ziemlich viel Platz neben der Materie bleibt – Unendlichkeit zwischen den Atomen. Zwar wird der eigene Schritt durch diese Erkenntnis nicht unbedingt sicherer und es häufen sich Vorkommnisse wie Gegen-Türen-und-Wände-Laufen, doch die Begegnung mit den Mitmenschen wird ungeahnt erfüllend. Großes Ehrenwort.“ Die Gräfin Karaszek nickt und saugt jedes Wort begierig auf. Sie ist eine Dame in ihren mittleren Jahren, prall gefüllt mit Temperament, niemals ein Gefühl der Alltäglichkeit im Miteinander aufkommen lassend. „Kein…

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Im falschen Licht

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Wer die Bahngleise entlang geht, vorbei am Krötenteich und den Birken, gelangt bei Regenwetter an einen Parkplatz. Der gehört zu einem Billigmöbelhaus. Darin wohne ich, zusammen mit dem Hundekönig Attila. Während der Geschäftszeiten treiben wir uns zwischen den Lagerregalen herum oder stehlen Hackfleischklöße von Tellern im Schnellrestaurant. Abends lümmeln wir auf den Sitzgarnituren und starren glotzäugig auf die Fernsehgerätattrappen. Bei klarem Himmel ist alles anders. Den Parkplatz kann man nicht finden. Stattdessen ein Wäldchen aus Laubbäumen. Sonnenscherbenmuster auf dem Waldboden, wie Fetzen gestreifter Jacken. Die Füße schwingen im Moos, als ginge man auf Taschenfederkern. Wir haben kein Dach über dem…

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Geschichten aus der Depression – Teil Soundsoviel

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„Wenn ich es Ihnen sage: ich stehe hier, ich kann nicht anders. Und sie bewegt sich doch.“ Trotzig hebt Herr Rabe die Faust und lässt sie vor den Nasen ausgedachter Feinde beben; er ist nicht länger willens, die Demütigungen und die ihm entgegengebrachte Missachtung dieses besonderen Personenkreises hinzunehmen. „Wer sich mit mir in die Gefilde der Gefahr begibt“, knurrt er, „kommt darin um.“ Eine besonders vorwitzige Widersacherin grinst ihn frech an; Herrn Rabe ist sie schon seit langem ein Dorn im Auge, ein Splitter im Blickfeld; sie ist eine der übelsten Gestalten, die er je erdacht hat. Er betrachtet sie…

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Der Specht

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„So war das zu meiner Zeit nicht!“, ruft mir der alte Herr zu, der das Kämmerchen nebenan bewohnt. Es gibt einen bestimmten Zeitpunkt im Alter, wo man zugleich schwerhörig und geräuschempfindlich ist. Von dort ruft er mir das zu. Ich weiß weder, wann seine Zeit war, noch wann sie zu Ende ging. Er ist ein unangenehmer Mensch, hat Freude am Zwist und am Unglück der anderen. Zudem stinkt er ein bisschen. Trotzdem habe ich einen Heidenrespekt vor ihm; schließlich ist es ihm gelungen, nach Ablauf seiner Zeit noch auf seinem kleinen Balkon zu stehen. Ein richtiger Balkon ist es nicht….

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Der Empfang

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Auf Stöckelschuh, im Herrenslipper, im Garten vor dem Haus am Fluss, eine Hochzeitsgesellschaft, hoch geht es her, Champagner wird getrunken, Krabben am Spieß verzehrt, es wird geplaudert und gescherzt: „Ach, wie schön! Du hier?! Wie lange ist’s her?“ „Wohl eine und eine halbe Ewigkeit.“ „Ein Haselnussstrauchzweig, ein Wink des Schicksals traf uns damals gemeinsam, wenn ich mich recht entsinne.“ „Darf ich so offen sein, dir etwas zu gestehen – ich hatte inzwischen dein Gesicht ganz vergessen.“ „Das muss dir gar nicht peinlich sein, ich kenne das schon. Das liegt am Teflon.“ „Am Teflon?“ „Na, das Teflon, mit dem mein Gesicht…

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Private Andacht Teil 45 – Schwalbenjagd

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Jede erpicht, die erste im gedachten Kreis zu sein, schwirren, flirren Schwalben uns um Köpfe. Jahre zurück: Der Nachbar steht, um sich über den anhaltenden Geschlechtslärm aus meiner Wohnung zu beschweren, in der unabschließbaren Tür, im Zimmer, am Bett, fummelt in deinem langen blonden Haar, schnalzt, raunt: „Reizend, ganz reizend“ und weckt den Brechreiz in dir. Noch weiter zurück: Liegen Männer unter Autos, trinken Alt-Bier, schwitzen Öl. Im Hintergrund die Stimmen in Zungen redender Sportreporter. Rasch ein Wechsel, ein Schlenker in die Gegenwart, denn die Stunde des Gehstocks rückt erschreckend nahe. Der Knauf wahlweise aus Silber oder Menschenbein. Ein Schädel…

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Das gibt es nicht mehr

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Der Weg zur Nusshändlerin war beschwerlich und von zerschlissener Begrünung gesäumt. In den Hinterhöfen Kinder in kurzen Hosen aus braunem Tuch. Sie spielten mit alten Dosen, als kämen sie aus einer anderen Zeit. Ein muffiger Sprühregen setzte ein, der Schmutz auf dem Gehweg wurde schlüpfrig. Sie kniff die Augen zusammen. Durch die Tropfen an ihren Wimpern sah sie wie durch einen Schleier das geduckte Gebäude, in dessen Erdgeschoss sich der Nussladen befand. Wie ein vor Wochen gehäuteter Igel. Die Fenster waren dunkel und das Schild über der Ladentür war entfernt worden. Besorgt trat sie näher, in der Hoffnung, eine Nachricht…

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Stadtidyll, frühsommerlich

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Die weibliche Gestalt neben mir hat sich wohl eingekotet. Ich rieche es, ein kurzer Blick auf ihre Hose, aus der es quillt, bestätigt meine Vermutung. Jede Spannkraft ist aus ihr gewichen; zusammengesunken, in Jeansshorts gekleidet, ist sie Teil meines Stadtbilds. Ein buntes Bild, in der Tat: Da picken Vögel, da werden Hunde getragen, Taschen und Tüten, Tätowierungen, die neusten Risse in den Hosen, gut gefüllte Mutterbrüste unter T-Shirts – da wird sich das Haar gebürstet und dort werden Flusen von leichten Kleidern gezupft. Transparente Mauern werden errichtet, Trampelpfade ausgetreten, Jugendliche auf Geschichtsentdeckung getrieben, Flicken auf Wissenslücken geheftet, genäht und anderweitig…

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