Kurzgeschichten

Spinnefeind

By

Wenn der Wind das bunte Laub von den Bäumen bläst, besuche ich meist meinen Onkel Pekarek. Es ist ein Überbleibsel aus Kindertagen, als die Ferien so lange dauerten, dass man in den letzten Wochen fortgeschickt wurde, damit die Familie sich nicht allzu sehr hasste. Um den Anschein zu erwecken, man wolle nur das Beste für den Nachwuchs, wurde kein Besuch bei meiner bissigen Großmutter vorgeschlagen. „Was hältst du davon, wenn du für ein paar Tage Onkel Pekarek besuchst?“, fragten meine Eltern scheinheilig, denn ihre eigene Reise an irgendeinen kinderfeindlichen Ort war längst gebucht. Ich sagte niemals nein, denn Onkel Pekarek…

Read More

In meiner Kindheit trugen die Frauen Kittelschürzen

By

A: Ich hatte wohl zu lange am offenen Fenster in die Nacht gelauscht, denn aus dem Rauschen urbaner Stille entwickelte sich allmählich eine Melodie, und als ich sie oft genug gehört hatte, begann ich mitzusummen. Mir wurde schwindelig, fast wäre ich geneigt zu sagen „ein Schwindel ergriff mich”, und ich schlug, Steißbein zuerst, auf dem Zimmerboden auf. B: Aua, das klingt ja schrecklich! Ich bin letzte Nacht fast von den Mücken leergesaugt worden – entschuldige, das sollte jetzt kein Vergleich mit deinem Elend sein. Was war denn passiert? A: Die Melodie war verschwunden, draußen fauchte die Autobahn. Der Nachbar aus…

Read More

Die Tür in den Herbst

By

Es gibt Dinge, gegen die ist man machtlos. Wenn einen die Traurigkeit anfällt, wie ein Landregen, zum Beispiel. Ob man versucht, sein eigenes Glück zu schmieden oder denkt, es gäbe nur falsche Kleidung, weil das Wetter ist immer gut; ob man einen Gaul zu verschenken hat oder beste Absichten: man wird nass. Bis auf die Knochen. Ich habe versucht, mir ein paar Pölsterchen anzufressen, damit die Gebeine nicht mehr so prominent sind, aber das war eine vergebliche Mühe. Nur die Hosen zwicken einen am Bauch und man keucht beim Schuhe schnüren. Ich muss nur die Augen offen halten, sage ich…

Read More

Das Gefühl

By

Kennen Sie das Gefühl, von einem Gefühl befallen zu sein, das man nicht näher beschreiben kann, als zu sagen, es fühlt sich so ähnlich an wie starker Harndrang? Nein, kennen Sie nicht? Also, das ist ein Gefühl, das sich so ähnlich anfühlt wie starker Harndrang. Aber Harndrang in einer Situation, in der man ihm keinesfalls nachgeben kann. Beispielsweise vor einem Kinderspielplatz, in einer belebten Fußgängerzone oder während der eigenen Priesterweihe. Da liegt man auf dem kalten Marmorboden der hiesigen Kathedrale mit ausgestreckten Armen, und die Blase meldet sich. Gut, das wird die Aufregung sein, denkt man zunächst, das vergeht wieder,…

Read More

Nassrasur

By

Am Ende des Sommers blökt eine Stimme Kauderwelsch aus einem Lautsprecher. Irgendwo in der Ferne, hinter dem Gezwitscher der Vögel. Der Stadtteilvertreter einer Partei, den es in die Hauptstadt zieht, vermute ich. Obwohl nichts zu verstehen ist, beunruhigt es mich. Dem Barbier, der von Zeit zu Zeit meinen Backenbart stutzt, entgeht das nicht und so schwatzt er munter über den Sand an seinem Urlaubsort und die schöne Aussicht vom Hotelbalkon und die Vorzüge einer privaten Altersvorsorge. Während er spricht, gestikuliert er mit dem Rasiermesser. Aus Angst um mein Ohr fange ich an zu sprechen. „In meinem Schädel rennen zahllose Rädchen…

Read More

Widerstand ist Wonne

By

Erst neulich oder vor fünf Jahren sah ich einen Mann, der mit seinem Esel rang. Er zog und riss an des Esels Mähne, den Ohren – das Tier bewegte sich keinen Zentimeter. Mit den Hufen im Boden verwurzelt stand es als lebendige Trutzburg gegen gesellschaftliche Nützlichkeit, und schaffte es, dabei noch so nonchalant und unbeteiligt in der Gegend umherzublicken, dass ich nicht anders konnte, als vor Bewunderung mit der Zunge zu schnalzen. Darauf reagierte der Esel unmittelbar und trottete in meine Richtung. Sein Besitzer funkelte mich böse an, ich zuckte die Schultern. Später bezog ich mit dem Tier eine Doppelhaushälfte…

Read More

Der Nusskopf

By

Ein Leben lang im Grünen. Das will auch niemand. Aber einen grünen Bereich, das wollen alle. Mit ihren kleinen Kindern in Schalensitzen auf den Rücksitzbänken rauschen sie vorbei. Ins Grüne, ins Grüne, raus aus der Unbarmherzigkeit, Schwipp-Schwapp, abgesoffen im Mittelmaß, im Mittelmeer, im Mittelklassewagen. Eine Fläche von 97 Fussballfeldern wird jeden Tag betoniert, damit die Planierraupen zu Fressen kriegen und im Jahr danach als speiende, spuckende Tupolews über den Frühlingshimmel donnern können. Meinethalben sollen sie alles zerschießen, die Zierhecken, die Maikätzchen, die gotischen Kirchen und den traurigen Mob, dem Tränen über das teigige Gesicht rinnen. Auf Asphalt kann keiner mehr…

Read More

Die Lösung ist niemals diagonal

By

Einer von uns zweien drohte den Verstand zu verlieren; ich weiß nicht mehr genau, aber ich glaube, du warst es nicht. Und auch nicht Käthe, die nimmermüde Arbeiterin im Weinberg des Herrn. ‚Welcher Herr?‘, fragst du. Na, Herr Malaga aus Hausnummer 53. Ich traf ihn neulich, als er seinen Zaun tünchte. Er sagte höflich ‚Guten Morgen‘ und ich erwiderte den Gruß. „Wo ist denn die Käthe?“, fragte ich und er wies mit dem Mittelfinger auf ein verhutzeltes Weib, das hinter mir stand und mit Eifer die Weinbeeren zählte. „Grüß dich, Käthe“, rief ich über die Schulter, doch sie gab vor,…

Read More

Abschied vom Abendland

By

„Passiert es Ihnen häufig, dass Sie etwas von Bedetung sagen wollen, aber alles, was Ihnen in den Sinn kommt, klingt wie die Rede eines Knabenschullehrers aus einem Unterhaltungsfilm der fünfziger Jahre?“ Die Personalchefin tippte mit der Rückseite ihres Kugelschreibers einige Male auf die Schreibtischunterlage aus buntem Plastik. Hasdrubal Pelzfuß strich mit der Fingerspitze sein Ohrläppchen entlang. Das Bewerbungsgespräch zog sich unangenehm in die Länge und Hasdrubal konnte sich auf nichts anderes konzentrieren, als auf den Mund der Personalchefin. Einen Riesenmund hatte die, voller winzig kleiner Zähne. Sicherlich achtzig oder hundert Zähne mussten das sein. Etwas Derartiges hatte er nie zuvor…

Read More

Wiedersehen mit Bad Sodom

By

„Veronika, ich glaube, der Frühling hält Einzug.“ Samuel Duda schaut aus dem Fenster und streicht sich Brotkrümel von der Trainingsjacke aus leichtem Synthetikstoff. Nicht, dass er vorgehabt hätte, sein Lauftraining wieder aufzunehmen – seit dem letzten Wettbewerb waren Monate vergangen, seit seinem letzten Training ebenso lang – die Jacke gibt ihm ein Gefühl von Sicherheit und Trost. Und Trost hatte er in den vergangenen Wochen dringend nötig gehabt, seit einem katastrophal verlaufenen Weihnachtsfest bei ihren Eltern, ist seine Beziehung zu Veronika bestenfalls als unterkühlt zu bezeichnen; Samuel Duda ist kein Optimist. Er glaubt nicht, dass es schnell besser wird. Aus…

Read More