Kurzgeschichten

Im Viertel

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Das Leben da draußen hat schon wieder den Beiklang von Normalität. Menschen flanieren, Rentner durchwühlen die Mülleimer, zwei Medikamentenabhängige streiten um die letzte Tablette in der Packung, Rollerfahrer brausen vorüber. Ein Prediger im stockfleckigen Gewand richtet das Wort an die Passanten, die sich zögernd im Halbkreis um ihn sammeln. Man kennt ihn im Viertel. „Hört mich, Ehemänner und Geliebte! Hört mich, ihr, die ihr an den Brunnen steht und durstig ins Wasser seht, hört mich an! Ihr Darbenden, seid umarmt, ihr Armen der Welt! Ihr Hungrigen sollt gespeist werden, mit Worten wie Fladenbrot und Fisch, tausendfach soll euer Schmatzen die…

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Ein Praktikum

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Es verhält sich so, dass manche wissen wollen, wo etwas herkommt und andere, wo es hingeht. Ein Wasserfall ist da gar kein schlechtes Beispiel. Noch dazu mit Abendrot und Bäumen, die sich bereits zur Nacht geschwärzt haben. Da fürchtet sich der ein oder andere, denn in der Dunkelheit wittert man Gefahren, wenn man entsprechend gestrickt ist. Ich hingegen fürchte das, was zu sehen ist. Das Verborgene ist ja meist selbst ängstlich. Warum würde es sich sonst in dunklen Winkeln herumdrücken? Andererseits unterschätzt man die gut beleuchteten Gefahren oft schon wegen ihrer Sichtbarkeit. Alles hat eben seine Nachteile. Vielleicht mache ich…

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Musca a mortuis

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Splish-splash, der Bus für alle fährt durch die Pfütze. Meine Hosenbeine nass, als wäre ich durch Kuvertüre gewatet. Auf die Schnelle die Maske übergezogen, nicht bemerkt, dass ich mir eine Fliege eingefangen habe. Ich atme aus und töte sie mit Kohlendioxid. Ihre Flugbahn wird zunehmend erratisch. Dann erschlafft sie ganz. Die Beine durchweicht, spitze Ich die Lippen und balanciere den leblosen Fliegenkörper auf meinem Schnurrbart. Mir will nicht einfallen, was ich keinesfalls vergessen durfte.

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Alte Geschichten aus Bad Sodom

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„Störe meine Greise nicht!“ Die Stimme des Pflegedienstleiters dröhnte durch den Park, dass die Pfosten wackelten, an denen die Lautsprecher befestigt waren. Die Gruppe alter Damen zuckte unter dem Gebrüll zusammen. Einige umklammerten verängstigt ihre Turnbeutel, andere verkrochen sich hinter Formschnittbäumen und sahen voller Sorge zum geöffneten Fenster des Büros hinauf. Veronika Duschek atmete tief ein und reckte trotzig das Kinn. Heute war ihr großer Tag. Das erste Training der Damen-Beachvolleyball-Mannschaft des Seniorenwohnstifts „Eichenhain“ in Bad Sodom stand bevor, und sie würde es sich unter keinen Umständen von diesem Despoten in Birkenstocklatschen zu Nichte machen lassen. Monatelang hatte sie die…

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Nüchtern und leicht

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Ein Vogel wollte, (der Vogel rollte die Augen wie einer, der nicht wirklich will) also, ein Vogel wollte Hochzeit feiern; als er jedoch hörte, dass der Wald kein Mischwald sei, war er betrübt und begann lang- doch unaufhaltsam, seinen Entschluss im Besonderen und Entschlüsse allgemein zu hinterfragen. „Wer“, fragte er seine Braut, ohne eine Antwort zu erwarten, „wer kann mir ein Tier nennen, das Freude an Monokulturen hätte?“ „Der Borkenkäfer“, schlug seine Zukünftige vorsichtig vor. „Der Borkenkäfer liebt es einheitlich, hübsch, überschau- und berechenbar.“ „Diese speziellen Sechsbeiner zählen nicht“, wischte der Vogel den Einwand vom Tisch, denn der Verzehr von…

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Bei Wasser und Brot

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„Ich frage mich“, sagt der Mann und schlägt seinen Kragen hoch, „warum niemand dem Wasser Einhalt gebietet? So schwer kann das ja nicht sein!“ Er beugt sich vor und schöpft mit einem rosa Plastikeimerchen braune Brühe aus dem Strom, der unter seinem Fenster vorbeirauscht. Seine Wangen sind gerötet, als er den Eimer in die Kamera hält. „Sehen Sie, so geht das!“, ruft er und verschwindet im Badezimmer. Kurz darauf erscheint er wieder. In der rechten Hand hält er ein dick belegtes Schinkenbrot. „Sie sehen, ich bin auf alle Eventualitäten vorbereitet“, verkündet er stolz und hält der Reporterin das Brot entgegen….

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Auch nur ein Mensch

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Danke für die Blume, ein Sträußchen wäre auch zu viel verlangt gewesen, die kann ich gut gebrauchen. Um uns herum das blühende Leben, hinter den Fenstern wird leise gestorben. Der Ventilator bläst einen Hauch. Wer ist dran, wer ist noch nicht versorgt? Einen Ehrenplatz für all jene, die es nicht wahrhaben wollten und die trotzdem das Weite gefunden, wenn auch nicht gesucht haben. Ich sehe meinen Atem, habe ein Auge auf dich geworfen, besorgt, ob du auch vorschriftsmäßig pulsierst. Wie lauten die Vorschriften heute? die Blumenläden sind wohl noch geschlossen, anders könnte ich mir die einzelne Blume nicht erklären. (Wuchert…

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Die Zeit danach

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Meine Augen sind nicht mehr so scharf, als dass ich damit allzu weit in die Zukunft blicken könnte. Nicht, dass es da viel zu sehen gäbe. Aber man macht das so heutzutage, und ich will nicht den Eindruck erwecken, Trends seien mir fremd. Ich weiß nicht, wann das geschehen ist, dass man den Hals den kommenden Zeiten entgegenreckt. Als ich jung war, gab es gar keine Zukunft. Man war, so dachte man, am Ende der Zeit angelangt, oder wenigstens kurz davor. Der Globus gespickt mit Mittelstreckenraketen, die aus sterbenden Wäldern hervorragten, die wir nicht betreten durften, weil man dann die…

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Der müde Mann

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„An manchen Tagen geht es besser als an anderen. Manchmal geht es gar nicht. Wenn sich die Partikel im Raum wieder in Wesen, in menschliche Wesen, in Mitmenschen verwandeln, schießen mir Tränen in die Augen und mein Atem drückt die Lungen von innen gegen den Brustkorb.“ Der Mann richtet sich ächzend von seiner Schlafstatt im Wartehäuschen der Linie 140 auf und steckt sich eine Zigarette an. „Ich wollte längst schon mit dem Rauchen aufhören, aber dann sag ich mir immer, was soll’s, man will so vieles den lieben Tag lang und morgen ist immer noch früh genug.“ Er hustet ergiebig…

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Pläne

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Ich grabe ein Sommerloch. Da schütte ich den Schweiß hinein, der mir bei der Arbeit durch die Speckfalten läuft. Ich sammle ihn in einem Flakon. Dann habe ich bald einen Salzteich und wer sich den Urlaub am Meer nicht leisten kann, kommt zu mir zum Schwimmen. Ich stelle einen dicken Hund als Bademeister an, der kassiert den Eintritt. 50 Pfennige, wie früher, als man noch klein war. Aber niemand hat mehr Pfennige zur Hand. „Das ist ja ein dicker Hund!“, rufen die Leute und werden gebissen, denn der Hund ist empfindsam und verträgt keinen Spott. Das Blut ihrer Wunden färbt…

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