Literarisches

Der Kriminalroman

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Man müsste, dachte sich Hagen Pelzfuß, einen Kriminalroman schreiben. Er hatte es satt, Sonntag für Sonntag betuliche Lyrik für die Lokalzeitung zu verfassen. Wenn er nur daran dachte, wie die zuständige Redakteurin die altrosa geschminkten Lippen beim Lesen seiner Verse kräuselte, stieg ihm das Erbrochene im Hals hoch. Bis zu dem stand ihm leider auch das Wasser, so dass er auf den Scheck der widerlichen Scharteke angewiesen war. Der Kriminalroman, dachte sich Hagen Pelzfuß, müsse regionalen Bezug haben, und eine schlaue Kommissarin, die gleichzeitig Landesmeisterin im Kickboxen war. Doch um so einen Roman zu schreiben, brauchte man Zeit und Muße…

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Absichtserklärung

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Jörg Gufler schließt die Butterbrotdose und hält den Atem an. Dann atmet er aus und wieder tief ein, beginnt zu hecheln, immer schneller, immer schneller. „86% Atemfähigkeit oder Lungenvolumen oder Kapazität, oder so was Ähnliches. Das sei ein guter Wert, sagt der Arzt. Für einen Mann. In meinem Alter.“ Stolz blickt Jörg Gufler in die Runde seiner Mitfahrer, als erwarte er Applaus oder eine andere Form der Anerkennung. Doch die Passagiere im Linienbus nach Fulda sind nicht an seinen medizinischen Testergebnissen interessiert, wie Gufler missbilligend zur Kenntnis nimmt. Er versucht, indem er ihr mit dem Zeigefinger in die Seite piekst,…

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Unbegrenzte Möglichkeiten

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Der Rauch kratzt mir die Augen blutig, doch den Weg ins Freie verstelle ich mir selbst. Auf dem Tisch ein ehemals weißer Teller mit Resten vom gestrigen Notlügensalat. Es läutet an der Tür, ich will gar nicht wissen, wer das ist. Ein Herr vom Geheimdienst, der mich impfen will, gegen den Ablauf meiner Zeit. Aber das kümmert mich nicht. Soll sie doch ablaufen oder es sein lassen, wie die stockig-braune Brühe in meinem Spülbecken und draußen in den Straßen, wo ich nicht hingehe. Vielleicht auch eine Frau. Heute ist ja alles möglich, heute kann jede alles sein und jeder werden,…

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Der große Piconelli

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Der stadtbekannte Zauberer Piconelli und sein zahmes Äffchen, dem er beigebracht hatte, kleine Pappschilder in die Höhe zu halten, auf denen motivierende Botschaften wie ‚Liebet einander!‘, ‚Tut Buße!‘, ‚Das Ende ist nah!‘ und, später, als der Lockdown uns schon monatelang in seinem harten Griff hielt, ‚Das Ende ist da!‘ geschrieben waren, hatten heute wieder einen Auftritt in der Fußgängerzone. Wir Kinder liebten den schrulligen Straßenmagier und hätten nicht geglaubt, wenn uns jemand erzählt hätte, dass sich hinter der ebenso freundlichen wie expressiven Maske Piconelli ein fanatischer Apokalyptiker verbarg, dessen Zauberkunststücke keine gekauften und erlernten Taschenspielertricks waren, sondern wahre Zeichen und…

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Spaziergang in roten Schuhen

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Eine Frau im enganliegenden Kleid liegt auf dem Kiesweg, mit einem Arm stützt sie sich ab, ein Bein ist neckisch angezogen. Im Hintergrund das Schloss. Der Verschluss der Kamera klickt. Die Frau verharrt noch ein Weilchen in ihrer Pose, bis der Fotograf ihr etwas zuruft. Sie steht auf, klopft sich das Kleid ab. Hinter ihr lauert das Eingangsportal wie ein hungrig aufgesperrtes Maul, bereit Touristentrauben zu verschlingen, doch niemand geht hinein, denn drinnen wartet die Seuche. Die Frau schüttelt ihr Haar, fährt sich mit den Fingern durch und Kiesstaub flimmert im Sonnenlicht. „Wer ihr wohl die Haare so schön gemacht…

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Ein Mann wie Moritz Schmandt

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(…) und dann, nachdem aufgeregt in der Öffentlichkeit gerülpst worden war, begannen die Luftangriffe auf Serbien. Auf dass Milosevic, der Serbe, sterbe. But don’t call it Schnitzel! Wir nannten Schnitzel niemals Schnitzel, auch nicht in Afghanistan, wo wir Tanklastwagen in heiße Luft aufgehen ließen oder in Mali, als wir für Frankreich, die große Nation, geraubte Bodenschätze in Obhut nahmen. Niemals Schnitzel. Schnitzel war etwas für Großväter auf vergangener Europa-Tournee oder in Nordafrika im Wüstenwind von el-Alamein. Fairtrade verdreht ist Handel bizarr und umgekehrt: In den späten Jahren der Herrschaft der Immer-Reicheren hatten wir uns angewöhnt, Routen auf See mit Kanonendonner…

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Ein Glühwürmchen

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Die besten Jahre meines Lebens verbrachte ich wie ein Leuchtkäfer an einem Sommerabend: Unter einem malvenfarbenen Himmel, aus der Ferne spektakulär anzusehen, tanzte ich durch duftendes Strauchwerk zu aktuellen Hits. Leuchtkäfer, mag man nun einwenden, haben gar keine Ohren, sie sind folglich taub für jegliche Musik, sei sie nun aktuell oder von Vorgestern – ihr Tanz ist lediglich ein Produkt des Zufalls oder eine Laune der Natur. Doch mit solch trockenbröseligen Details habe ich mich niemals aufgehalten, dafür fehlt mir der Sinn. Nichts hat weniger Reiz als eine Tatsache. Wie ich also meine Pirouetten drehte, entfernte ich mich weiter und…

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Frauen gehören nicht in die Restmülltonne

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Ich habe schon seit einiger Zeit eine Idee – eine Idee, mit der ich mich ein wenig herumquäle. Eine Frau wird von einem meiner Nachbarn in einem Koffer durch das Treppenhaus getragen. Das Problem ist, ich weiß nicht, was mit der Frau ist, warum sie in diesem Koffer steckt, woher ich wissen könnte, dass sie sich überhaupt in dem Koffer befindet. Wahrscheinlich zeichnet sich ihr Körper durch die dünne Kofferaußenhaut ab. Hoffentlich ist ihr nichts Schlimmes zugestoßen, obwohl, wenn man bedenkt, dass sie vom unsympathischsten Nachbarn morgens um halb drei durch unser Treppenhaus getragen wird, ist anzunehmen, dass ihr zumindest…

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San Sabba

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Mein Großvater war einmal – nahezu unbemerkt von seiner Umgebung – ein schneidiger junger Mann gewesen. Er schuftete auf einer italienischen Reismühle und um seinen kargen Lohn aufzubessern, verkaufte er Pülverchen aus Partisanenknochen an die Einheimischen, denen er so zu mehr Standfestigkeit in Liebesdingen verhalf. Nachts schrieb er im Schein einer Talgkerze Briefe an meine Großmutter, in denen er aufrichtig sein Schicksal bedauerte. Später wollte er sich an diese finsteren Zeiten nicht mehr erinnern. Er stolzierte lieber in seiner Festtagshose umher und bestand auf Ordnung und gutes Benehmen. „Aufgeschoben ist nicht aufgehoben“, pflegte er zu rufen, wenn ich die Beine…

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Der Eimer

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„Aus welchem Grund sollte ein Mensch etwas anderes sagen, als er meint?“, sagte Margret zu ihrem Eimer, der wie immer in der Ecke stand und hoffte, einfach in Ruhe gelassen zu werden. Doch seine Besitzerin, eine dralle Frau in der vermeintlichen Mitte ihres Lebens stehend, geriet immer mehr in Fahrt. „Um witzig zu sein? Um zu wirken, als hätte man alles im Griff? Er nennt es Ironie – ich nenne das schlichtweg Lügen.“ Margret raufte sich das Haar, bis es wie ein ausgebleichter Strohhaufen in alle Richtungen abstand. Der Eimer wusste, was jetzt folgen würde, was immer folgte, wenn die…

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