Literarisches

Möglicherweise

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Ich könnte ja. Wenn ich wollte. Wenn ich wirklich wollte, würde ich. Immer wieder Gedanken daran. Gedanken, die unerwartet auftauchen, angetrieben von unbenannten Gerüchen der Vergangenheit oder einfachen Melodien; dunkle Gedanken, die sich Platz bahnen, in den Tagesablauf drängen und alles lahm legen. Zur Ablenkung denke ich Quatsch, versuche Schwerhörig- und Schwerelosigkeit in einen literarisch verwertbaren Zusammenhang zu bringen, erinnere mich an bereits geschriebene Geschichten, Charaktere und Gestalten. Da öffnet sich die Wohnungstür, ein Pudel in einer roten Pagen-Livree tritt ein, richtet sich auf und trippelt auf den Hinterbeinen in meine Richtung. „Und?“, fragt er herrisch. „Hast du dich schon…

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Meine Kreise

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Ich drehe mich im Kreis, als sei ich eine Primaballerina. Das wünschte ich mir als Kind schon: In einem rosafarbenen Tutu und seidig glänzenden Ballettschuhen über federnden Holzboden fliegen, springen, Pirouetten drehen. Auf ein Publikum wollte ich allzu gerne verzichten. Für die nächsten 1000 Jahre in einer Zeitkapsel verborgen hätte ich gerne getanzt. Aber das kann man mit einem Kind natürlich nicht machen, obwohl Kinder das Salz der Erde sind. Oder war irgendjemand anders das Salz der Erde? Ist ja auch egal. Hauptsache, ich muss die Menschheit nicht aushalten, mit ihrem empörten Geschrei und diesen Blicken, bei denen man nicht…

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Unveränderte Spielregeln

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Ich stehe im Badezimmer vor dem Spiegel und gebe mit meinem Halbwissen an, dass sich die Wände biegen. „Buckminster Fuller“, knurre ich mir zu, „und Frei Otto und non-euklidische Architektur.“ Ich schnaube verächtlich, denn mir ist schmerzlich bewusst, mit wie wenig Substanz diese Begriffe in mir abgesichert sind. Und so versuche ich, das Thema zu wechseln: Was soll man von den Nachrichten halten? „Welche Nachrichten denn?“, frage ich mit geübt unschuldigem Blick, obwohl mir natürlich klar ist, wovon ich rede. Mich der Sprache des Zeitgeistes anbiedernd, erwidere ich: „Na, der Gamechanger. Stell dich doch nicht dümmer, als du sowieso schon…

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Allerdings

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Es gibt Tage, da erwacht man morgens mit schweren Lidern in einem Bett aus klebrigem Gummi. Allerdings, die Lider kann man sich heutzutage vom Operateur entfernen lassen. Das schützt auch vor Lidkrebs, wie man hört. Und das ist ja das A und O: schützen und vorsorgen. Wobei ich für beides nicht viel übrig habe und für vorsorgliche Entfernung schon gleich dreimal nicht. Allerdings, meine Großmutter hat immer gesagt: Böse Menschen haben keine Lider. Und wer will schon von aller Welt auf den ersten Blick als böser Mensch erkannt werden, nur um morgens besser aus dem Bett zu kommen? Ich jedenfalls…

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Hängt den Lurch!

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Wie oft kann man berechtigterweise „Hängt den Lurch!“ rufen, bevor man selbst zum Lurch wird? Reinhard wollte nicht immer schon Künstler sein. Lange Jahre war ihm der Gedanke, sich in einem Getränkemarkt, irgendwo in der deutschen Provinz, bis zum Abteilungsleiter hochzuarbeiten, nicht fremd und nicht unangenehm gewesen. Rechtschaffene Arbeit erschien Reinhard ein erstrebenswertes Ziel. Nicht um Reichtümer anzusammeln, aber immer so viel Geld ‚auf Tasche‘ zu haben, dass man berechtigt wäre, am Spiel der Erwachsenen teilzunehmen. Bis ihm eines Tages der Geist des Mädchens, in das er zu Grundschulzeiten verliebt gewesen war, auf dem Weg zur Restmülltonne begegnete. Das Mädchen…

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Das Odikolon

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Als ich vor ein paar Tagen am Briefkasten vorüberging, stieg mir der Duft von Kölnisch Wasser in die Nase, mit dem mein Vermieter seine Briefe zu parfümieren pflegt. Voller Unbehagen nahm ich den lila Umschlag in die Hand und befühlte ihn vorsichtig. Nur ein Blatt. Sehr geehrte Mieterin … blablabla … im Angesicht der rasenden Inflation sehen wir uns gezwungen … blablabla … Mieterhöhung um 15% … blablabla … gesetzeskonform. Sollte ich die Erhöhung ablehnen, stünde es mir frei, zur bisherigen Miete in den Fahrradschuppen zu übersiedeln. Als Dank für jahrelange Treue würde mir in den nächsten Tagen ein Fläschchen…

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Die Nachbarin

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Ich traf heute die Nachbarin. Im Hof. Sie trug ein geschmackvolles rotes Oberteil, dessen bin ich mir ganz sicher. Ich schmunzelte, weil ich mich an ein Gespräch erinnerte, das wir mal in der Stadt geführt hatten, und in dessen Verlauf relativ schnell offensichtlich wurde, dass sie mich außerhalb unseres Wohnblocks nicht richtig zuordnen konnte und mich mit jemanden verwechselte. Gut sähe ich aus, viel besser als beim letzten Mal. Wann ich denn mal wieder ins Taj Mahal käme, der Stammtisch würde sich jetzt immer dienstags treffen. Spätestens da hatte ich Gewissheit. Das Taj Mahal war mir nur vom Vorbeigehen bekannt…

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Blutsbande

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Wenn man sonst keine Sorgen hat, lockt einen das Abenteuer. Um von den Mitmenschen nicht als verdeckter Pauschaltourist belächelt zu werden, muss das Unterfangen von kolossaler Waghalsigkeit sein. Barfuß mit nur einer Malakofftorte als Proviant ins Hochgebirge zum Beispiel. Oder man umsegelt die Welt in 80 Tagen auf einem Käsebrot. Gerät man in Kalamitäten, ist einem die Aufmerksamkeit der Medien und Langweiler rund um den Globus sicher. Es gibt Leute, die mögen das. Sabine Pelzfuß gehört nicht dazu. Die Betreuung ihrer alten Mutter ist für sie abenteuerlich genug und auf neunmalkluge Ratschläge und neugierige Blicke kann sie getrost verzichten. Nunja….

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Unkündbar

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„Du siehst nicht aus, als seist du sonderlich glücklich in deinem Job“, sagte Jonas Pfeffersuder, nachdem er mich prüfend von oben bis unten gemustert hatte. In der Grundschule hatten wir zusammen am Gruppentisch „Die Hummeln“ gesessen und ich wunderte mich, dass er mich nach der langen Zeit überhaupt erkannte. Er selbst hatte sich kaum verändert, nur ein bisschen gewachsen war er. Wie zu Schulzeiten trug er kurze Hosen mit Hosenträgern und sein Specknacken glänzte in der Sonne wie ein goldener Schal aus Fett. Da ich tatsächlich nicht zufrieden mit meiner Arbeit war, nahm ich sein verlockend klingendes Angebot an. Unbefristeter…

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